Der hohe Senior hat mich vor zwei Tagen gebeten, heute anlässlich unseres Stiftungsfestes zu sprechen: Ich sollte keine Festrede halten, sondern einige
kurze Gedanken zusammenfassen.
Ich komme dem gerne nach.
Manches wird der eine oder andere von mir vielleicht schon bei einer anderen Gelegenheit gehört oder gelesen haben. Aber etwas, das man als richtig empfindet, darf
man ja wiederholen und in Erinnerung rufen.
Der legendäre österreichische Kabarettist Karl Farkas charakterisierte seine Landsleute mit den Worten: „Wir blicken vertrauensvoll in unsere Vergangenheit!“
Könnte man das kritisch im Besonderen nicht auch auf die Landsmannschaften und die von ihnen beschworene Tradition beziehen?
Der vor kurzem verstorbene deutsche Physiker und Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker meinte hingegen: „Tradition ist bewahrter Fortschritt, Fortschritt ist
weitergeführte Tradition“.
Kann Tradition, oder das, was wir gemeinhin darunter verstehen, tatsächlich Fortschritt bedeuten und dieser wieder zur weitergeführten Tradition werden?
Wer hat recht? Welche dieser Aussagen prägen heute das Bild unserer Verbindung?
1917 ist in Mönchengladbach ein kleines Buch mit dem Titel „Treudeutsch“ erschienen. Es war, wie es im Untertitel heißt, als Feldgabe für die Mitglieder des
Cartellverbandes an den Fronten des Ersten Weltkriegs gedacht. Hier finden sich die Sätze:
„Es wird viel von den Prinzipien unserer Verbindungen geredet. Jede Festrede ist eine Prinzipienrede. Vor lauter Reden über die Sache vergisst man leicht, die
Gedanken der Reden zur Tat werden zu lassen. Aber alle schönen Reden haben ohne die nachfolgende Tat wenig Sinn für das Leben.“
Der Feststellung „Religion, Wissenschaft und Freundschaft lassen sich pflegen, auch ohne Korporation!“ folgt die Frage „Hat sich auch die Korporationsidee bewährt,
die wir in ihren Dienst gestellt haben?“
Diese Sätze haben auch heute nichts von ihrer Aktualität verloren und die Tatsache, dass sie 1917, also vor 90 Jahren und 61 Jahre nach der Gründung des CV
geschrieben wurden, lässt die Annahme zu, dass die Verwirklichung dieser drei Prinzipien, zu denen sich der CV damals bekannte, im Alltag schon immer hinterfragt
und diskutiert wurde, wahrscheinlich seit es katholische Studentenverbindungen gibt.
Sie dürfen und sollen auch heute hinterfragt werden!
Und was ist von der damals aufgezeigten Tradition geblieben?
Es ist jedenfalls die Überzeugung, dass Werte, wie das sich ein Leben lang an eine Gemeinschaft zu binden und ihre Grundsätze zu leben, ebenso ihre Gültigkeit
behalten haben wie das „Farben tragen, heißt Farbe bekennen“.
Anfangs der Zwanzigerjahre erschienen in Berlin zwei kleine Bücher, deren Autoren gegen die „Fremdwörterei“ und für „Verdeutschungen fremdsprachiger studentischer
Ausdrücke“ zu Felde zogen. Viele werden sich schon damals gefragt haben, ob es denn wirklich ernst gemeint sein kann, Begriffe, wie z.B. „Chargierter“, durch
„Beauftragter, Vorsteher, Festwart oder Herold“, „Comment“ durch „Burschenordnung“, „Kommilitone“ durch „Strebensgenosse oder Mitkämpe“ und „Salamander“ durch
„Ehrengruß“ zu ersetzten.
Mit dem Vorschlag, an Stelle von „Tradition“ einfach von „Geschichte“ zu sprechen, setzten sie jedoch einen bemerkenswerten Akzent, den man durchaus befürworten kann
Ein Verband wie ÖCV oder MKV, aber auch eine Verbindung, die in unserer Gesellschaft eine außerordentliche, aber auch exponierte Stellung beanspruchen und einnehmen,
müssen und dürfen sich aber nicht nur ihrer Geschichte stellen, sondern müssen sich auch der Gegenwart und ihrer Anforderungen bewusst sein.
Der holländische Theologe Edward Schillebeeckx vertritt die Auffassung „Die Vergangenheit kann man betrachten, die Zukunft kann man tun“.
Das Miteinander von Alten Herren und Aktiven und die Wechselwirkung, die sie auf einander ausüben, waren und sind ein wichtiges Fundament jeder Korporation, aber
auch im und für den ÖCV, die Landsmannschaften und den MKV.
Generationen unterscheiden sich angeblich vor allem dadurch, dass die jüngeren Menschen Visionen und die älteren Erinnerungen haben.
Der Versuch einer Interpretation dieser kritischen Feststellung könnte so aussehen:
Visionen haben jene, die den Blick auf die Anforderungen der Zukunft richten und Vorstellungen entwickeln, die helfen können, diese Zukunft zu meistern. Tradition
hat für sie oft nur einen sehr geringen Stellenwert.
Die anderen leben ihren Erinnerungen, richten den Blick in die Vergangenheit und wollen meist keine Änderungen. Traditionen werden als etwas Unverrückbares angesehen
und sollen möglichst unverändert beibehalten werden.
Was kann, ja was muss aus diesen gegensätzlichen Standpunkten erwachsen?
Tradition darf nicht zu einer bloßen Mode verkommen, sondern muss ihrem Ursprung und der Überzeugung, aus der sie gewachsen ist, treu bleiben.
Wir müssen die Prioritäten richtig setzen und unseren Blick auf das richten, wofür wir stehen wollen. Dann gibt uns ein spezifisches Traditionsverständnis einen
Hinweis, der weit über den matt gewordenen, uns von der Gesellschaft oft vorgehaltenen Zerrspiegel hinausweist, auf die immanente Zeitlosigkeit einer richtig
verstandenen Tradition.
In diesem Sinn darf Tradition nicht als bloßes Konservieren verstanden werden, sondern im ursprünglichen Sinn des Wortes als Weitertragen von Überprüftem und für
wertvoll Befundenem. Sie darf also nicht Stillstand, sondern muss Bewegung sein!
Ich möchte schließen mit Worten des französischen Dichters Antoine de Saint-Exupery, die er unter dem Schlagwort „Lebensfreundschaft“ auch einer Verbindung ins
Stammbuch geschrieben haben könnte.
„Die Menschen haben keine Zeit mehr, irgendetwas kennen zu lernen. Sie kaufen sich alles fertig in den Geschäften. Aber da es keine Kaufläden für Freunde gibt, haben
die Leute keine Freunde mehr. Wenn du einen Freund willst, musst du sehr geduldig sein!“
Ich wünsche mir, dass wir das verstehen und beherzigen können!
„Was ich am tiefsten verabscheue, das ist die traurige Rolle des Zuschauers, der unbeteiligt tut oder ist. Man soll nie zuschauen. Man soll Zeuge sein, mittun und
Verantwortung tragen. Der Mensch ohne mittuende Verantwortung zählt nicht!“
Auch das sollten wir uns vor Augen halten, denn unsere Verbindungen bieten vielfältige Gelegenheit dazu. Wenn man dazu auch noch etwas für das Leben lernt, wird das
keinem schaden!
Und schließlich:
„Wenn ich unter meinen Erinnerungen die heraussuche, die ihren köstlichen Geschmack behalten haben, wenn ich die Bilanz der Stunden mache, die in meinem Leben
gezählt haben, dann sind es mit Sicherheit solche, die mir kein Vermögen der Welt verschafft hätte!“
Und das sind doch auch die Stunden, die Jahre in unserer Verbindung, im Kreis unserer Bundesbrüder, im Streben nach und in dem Bemühen um die Verwirklichung unserer
Prinzipien!
Und in dieser Tradition, um sie noch einmal anzusprechen, möchte ich gerne weiterleben
und mir wünschen, dass meine Bundesbrüder es ebenso sehen!
Dixi!
Diese Bude war zwar nicht gerade überlaufen, dafür fiel die diesjährige Fastenkneipe umso gemütlicher und unterhaltsamer aus. Während einige
Bundesbrüder, die in der vorösterlichen Zeit auf Alkohol verzichten, dem Mineralwassser frönten - so zum Beispiel u. lb. Bbr. Dr. Eisenherz -,
erfreuten sich andere dem altbewährten Fastentrunk aus Hopfen und Malz.
Unser hoher x, Bbr. Janus, ließ so manchen beschwingten Cantus anstimmen. So gedachten wir z.B. mit dem Tirolerlied "Das schönste auf der Welt"
unserer Freundschaftsverbindung Raeto Romania Landeck.
Der Höhepunkt des Abends war aber die feierliche Reception von Hrn. Daniel Kirch, der sich den Couleurnamen Alucard (rückwärts lesen!) wählte.
Bbr. Alucard ist ein Studienkollege unseres derzeitigen xxx, Bbr. Tizian, und war in den vergangenen Semestern schon öfters auf unserer Bude zu Gast.
Wir heissen unseren neuen Fuxen recht herzlich willkommen -
Tegetthoff vivat, crescat, floreat ad multos annos!