Nummer 4/2025
Ideen und Pläne zur Reichsreform (2.Teil)

Es ist kein Jux, sondern die Fortsetzung der ernsthaften Auseinandersetzung unseres gleichnamigen Bundesbruders mit der Geschichte des ehemaligen Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn, die wir in dieser Ausgabe des Blech-Boten als zweiten Teil der Serie wiedergeben.

Vom Reichstag von Kremsier bis zur Auflösung durch das kaiserliche Manifest vom 4. März 1849.
(Föderalisierungskonzepte, Löhners Entwurf, Mängel an den Föderalisierungskonzepten: neue Minderheiten wurden gebildet, Ungarn nicht berücksichtigt; der Reichstag von Kremsier, Beginn in Wien, Verlegung aus Sicherheitsgründen nach Kremsier, Verfassungsfrage: zentralistisch oder föderativ, Kaiserliches Manifest vom 4. März 1849, Pressereaktionen, Bewertung durch Historiker.)

Anm. d. Red.: Aus technischen Gründen sind allfällige diakritische Schriftzeichen der slawischen Namen in der HTML-Version nicht darstellbar.

Föderalisierungskonzepte und der Reichstag von Kremsier.
Vertreter der deutschen und kroatischen Volksgruppen schmiedeten Pläne zu einer Föderalisierung des Reiches. Zu nennen sind z.B. der kroatische Publizist Ognjeslav Ostrozinsky und der Deutschböhme Ludwig von Löhner. Beide gelten als Vorkämpfer des Föderalismus. Sie vertraten die Idee eines Bundesstaates, der eine militärische und ökonomische Vereinigung der Völker der Monarchie vorsah, Länderkompetenzen für Landwirtschaft, Justiz, Soziales und das Schulwesen sollten weiterhin bestehen bleiben. Der Entwurf Ludwig Löhners, in welchem die volle nationale Autonomie gefordert wurde, sah folgende territoriale Gliederung des Reiches vor:

Deutsch-Österreich bestehend aus Nieder- und Oberösterreich, Salzburg, Nordtirol und Vorarlberg, ferner aus den deutschen Teilen der Steiermark, Kärntens, Schlesiens und Böhmens. Als Verwaltungssprache wäre Deutsch vorzusehen.

Tschechisch-Österreich sollte aus den tschechischen Teilen Böhmens, Mährens und Schlesiens gebildet werden. Tschechisch sollte die Verwaltungssprache sein.

Polnisch-Österreich sollte Galizien, Krakau und der Bukowina umfassen. Als Verwaltungssprache sollte Polnisch und Ruthenisch dienen.

Slowenisch-Österreich umfasst Südtirol, Istrien, den italienischen Teil von Görz, Triest und Dalmatien. Verwaltungssprache Italienisch.

Löhner ließ bei seinem Konzept die ungarische Frage unberücksichtigt. Allen Föderalismusplänen haftet der Mangel an, dass in jedem dieser Gebiete wieder Minderheiten unberücksichtigt blieben. Zum Beispiel existierte in Oberkrain (Slowenien) die deutsche Sprachinsel der Gottscheer. In Zeiten der Nazibarbarei wurde dieses Volk 'heim ins Reich geholt'.

Der Reichstag von Kremsier begann in Wien. Aufgrund der Märzrevolution wurde die Bildung eines österreichischen Reichstages, bei dem alle Volksgruppen des Kaiserreiches Vertreter entsenden sollten, notwendig. Ungarische Abgeordnete fehlten. Als Tagungsgebäude wurde die Hofreitschule vorgesehen und dafür adaptiert. Dieses erste österreichische Parlament begann seine 'vorberathenden Sitzungen' bereits am 10. Juli 1848; die feierliche Eröffnung wurde am 22. Juli durch Erzherzog Johann vorgenommen. Noch vor der feierlichen Eröffnung kam es zu einem gewaltsamen Übergriff auf den tschechischen Abgeordneten Dr. Ladislaus Rieger. Dazu schreibt die Wiener Abendzeitung: 'Ein Deputirter aus Böhmen, Dr. Rieger, wurde gestern bei seinem Heraustreten aus dem Reichstagsgebäude von einem Menschenhaufen mit Wuth und Hohn empfangen, und nur dem Einflusse Dr. Goldmark’s und der schnellmöglichsten Flucht mittels eines Fiakers hatte er es zu verdanken, daß die offenbar aufgehetzte und angestiftete Menge sich nicht an ihm vergriffen. Wir gehen hier gar nicht darauf ein, was Dr. Rieger in der Kammer gesprochen, das ihn eine eines solchen Empfanges auf der der Straße werth gemacht hätte. Die Person und die Meinung eines jeden Deputirten ist und muß heilig sein, solange er in seiner Eigenschaft als Abgeordneter handelt und spricht.' 5)

Der, in heutige Sprechweise übersetze, Haltungsjournalist zeigt eine beachtliche demokratische und journalistische Tugend, die in der Gegenwart ausgestorben zu sein scheint. Bei heutigen zeitgeistigen Qualitätsjournalisten ist schon bei Interviews, noch ehe der Interviewpartner seine ersten Sätze beendet hat, oft eine missbilligende Schnappatmung bemerkbar. Haltungen, die nicht in die Mainstream-Vorstellungen, des meist objektiven unabhängigen öffentlich-rechtlichen Qualitätsjournalisten passen, werden meist mittels Zwischenfragen infrage gestellt.

Die schweren Ausschreitungen des 6. Oktobers, in deren Verlauf der Kriegsminister Graf Latour von einer tobenden Menge gelyncht wurde, führten zu einem Auszug aus Wien. Der Kaiser, sein Hof und etliche Ministerien flüchteten nach Baden ('Schwarz-Gelbowitz'). Der Reichstag verließ aus Sicherheitsgründen ebenso Wien und setzte seine Tätigkeit in Kremsier fort. Für die weitere Zukunft der Donaumonarchie war die Frage nach einer Verfassung vordringlich. Dazu bildeten sich zwei konträre Ansätze aus. Einerseits wurde ein zentralistischer Einheitsstaat, ähnlich wie im nachrevolutionären Frankreich vorgeschlagen, andererseits sollte nach einer föderalistischen Konzeption das Reich in nahezu autonome Bundesstaaten umgebildet werden. Die Befürworter einer föderalistischen Verfassung waren geteilter Meinung, ob als Grundlage einer Föderation die 'historische-politischen' Individualitäten, oder der Grundsatz der Sprachgruppen gelten sollte. Deutschsprachige Abgeordnete traten für einen zentralistischen Staat ein. Slawen, unter tschechischer Führung, bevorzugten dagegen einen Föderativstaat.

Der 'Kremsierer Entwurf' einer Konstitution basierte auf der Pillersdorfer Verfassung. Er ist ein unfertiger Entwurf zu einer Verfassungsurkunde für das Kaisertum Österreich (ohne Ungarn und Lombardo-Venetien). Besonders beachtenswert sind die sogenannten Grundrechte, die vom Reichstag beschlossen, jedoch noch nicht in den Constitutionsentwurf aufgenommen wurden. Sie sind daher im Anhang zum Constitutionsentwurf zu finden. Sie sind es jedoch wert näher betrachtet zu werden: '§1. Alle Staatsgewalten gehen vom Volke aus. Vor dem Gesetz sind alle Staatsbürger gleich. Alle Standesrechte sind abgeschafft. Adelsbezeichnungen jeder Art werden vom Staate weder verliehen noch anerkannt.' 6)

Der Verfassungsentwurf sah für die 'untheilbare constitutionelle Erbmonarchie' 7) eine Gliederung in 14 Länder vor, die ein einheitliches Zoll- und Wirtschaftsgebiet bilden sollte. Dem Kaiser wurde ein Vetorecht gegen Beschlüsse des Reichstages eingeräumt. Im §14 wurde der Regierung ein Notverordnungsrecht gewährt, mit welchem sie auch ohne Zustimmung des Reichstages regieren konnte. Für die Lösung zukünftiger Nationalitätenprobleme war der §113 gedacht: 'Reichsländern mit gemischter Nationalität bleibt vorbehalten, eine Institution in die Landesverfassung aufzunehmen, durch welche Angelegenheiten von rein nationeller (sic!) Natur nach Art eines Schiedsgerichtes zu entscheiden sind.' 8)

Die Todesstrafe wurde abgeschafft und als neue Reichsfarben die Trikolore Weiß-Rot-Gold festgelegt. Unter Jubel und Hochrufen legten die Mitglieder des Verfassungsausschusses den Entwurf dem Plenum des Reichstages am 2.März 1949 vor, aber bereits fünf Tage später wurde der Reichstag durch das 'Kaiserliche Manifest vom 4. März 1849' aufgelöst. Mitglieder des Verfassungsausschusses wurden verhaftet. Eine Verfassung durch den Gesamtstaat wurde oktroyiert.


(Es folgten alle weiteren Titel.)

Im Manifest beschreibt der Kaiser seine Enttäuschung über den Zustand des Reiches und über die Arbeit des Reichstages. Er hätte in seinem Manifest vom 2. Dezember seine Hoffnung ausgesprochen 'alle Lande und Stämme der Monarchie zu einem großen Staatskörper zu vereinigen.' 9)

Der Kaiser sah sich hinsichtlich seiner Erwartungen jedoch enttäuscht: 'Leider ist unsere Erwartung nicht in Erfüllung gegangen. Nach mehrmonatlicher Verhandlung ist das Verfassungswerk zu keinen Abschlusse gediehen. Erörterungen aus dem Gebiete der Theorie, welche nicht nur mit den thatsächlichen Verhältnissen der Monarchie im entschiedenen Widerspruche stehen, sondern überhaupt der Begründung eines geordneten Rechtszustandes im Staate entgegentreten, haben die Wiederkehr der Ruhe, der Gesetzlichkeit und des öffentlichen Vertrauens in die Ferne gerückt, in den wohlgesinnte Staatsbürgern trübe Befürchtungen erzeugt und der durch Gewalt der Waffen zu Wien erst geschlagenen, in einem anderen Teile Unseres Reiches noch nicht gänzlich besiegten Partei des Umsturzes neuen Mut und neue Thätigkeit verliehen. Dadurch war auch die Hoffnung wesentlich erschüttert, daß dieser Versammlung trotz der höchst achtbaren Elemente, die sie enthält, die Lösung ihrer Aufgabe gelingen werde. […] Wir verkündigen demnach unter heutigem Tage die Verfassungs-Urkunde für das einige und untheilbare Kaiserthum Oesterreich, schließen hiedurch die Versammlung des Reichstages zu Kremsier, lösen denselben auf und verordnen, daß dessen Mitglieder sofort nach Veröffentlichung der dieses Beschlusses auseinander gehen.' 10)

Die Öffentlichkeitswirksamkeit der Auflösung des Reichsrates und der Verkündigung der Oktroyierten Verfassung sind schwer feststellbar. Meinungsbefragungen gab es damals nicht. Daher kann nur aus Zeitungsberichten von der veröffentlichten Meinung auf die öffentliche Meinung geschlossen werden. Hier ist folgendes anzumerken: Es wurden viele Zeitungen mit niedrigen Auflagenzahlen verlegt. Ausschreitung wegen der Auflösung wurden nicht gemeldet. Negative Kommentare zu einer Allerhöchsten Entschließung waren nicht angebracht. Außerdem waren Berichte über die Auflösung des Reichstages nicht vordringlich; für Schlagzeilen, nach heutiger Sprache breaking news, boten sich hauptsächlich Ereignisse des ungarischen Kriegsschauplatzes an.

Über die Vorgangsweise der Auflösung berichtet die Ost-Deutsch Post in ihrer Ausgabe vom 11. März. In einer geheimnisvollen Unterredung in der Nacht vor der Auflösung wurden die Abgeordneten in aller Eile zusammengerufen: 'Graf Stadion eröffnete den Versammelten, die Lage der Dinge in Ungarn, die Nothwendigkeit, für die zu gestaltende Gesamtmonarchie eine feste Grundlage zu gewinnen, so wie der Wunsch, der Revolution endlich ein Ziel zu setzen, machen es nothwendig, daß eine Vefassung oktroyirt und der Reichstag aufgelöst werde. Dann wurde die oktroyierte Verfassungsurkunde vorgelesen. Den Eindruck, den die Vorlesung auf alle Anwesenden hervorbrachte, war ein gleich unangenehmer […].' 11)

Die Geissel. Tagblatt aller Tagblätter 12) freut sich über zwei der sehnlichst erwarteten Ereignisse: Über 'das kaiserliche Geschenk mit den festen Grundlagen des neuen Gebäudes'. Unter diesem könnten sich alle Völker Österreichs zu einem Bruderbund vereinen. Gemeint ist hier die oktroyierte Verfassung. Weiter wird die Auflösung des Reichstages bejubelt ('Schließung der Pandorabüchse').

Die Wiener Theater-Zeitung (Bäuerles Theaterzeitung) 13) sieht in der Auflösung den Schlussstein der österreichischen Revolution. Es wurde Jubel laut als 'unser junger, kräftiger Monarch den wogenden Elementen sein mächtiges: ‚Bis hieher und nicht weiter!’ rief'. In einem weiteren Artikel ist über die neue Verfassung zu lesen: 'Das Werk ist groß, riesig sind die Hindernisse, unendlich sind die Haltepunkte für den Geist des Widerspruches und der Verdächtigung. Die Verfassung des Kaiserreiches, wie sie aus den Händen desjugendlichen (sic!) begeisterten Monarchen und seiner weisen Räthe hervorging, ist den theoretischen Faseleien und doctrinären liberalen Zöpfen gewiß nicht entsprechend, sie ist dazu viel zu practisch, und dabei zu genial.'

Die Presse sieht das Geschick Österreichs in den Händen seiner Völker: 'Möchte man dies begreifen bei Deutschen und Slaven, so wie bei den anderen Stämmen, welche die Verfassung durch gleiches Recht verbinden will. […] für gekränkte Eitelkeit gibt eine große Zeit nicht Raum. Ihre Verantwortlichkeit ist jetzt doppelt so groß vor dem Volke und der Geschichte.' 14)

Die Auflösung des Reichstages durch das kaiserliche Patent 'bezeichnet den reinen Tatsachen nach den Beginn der Ära des schrankenlosen ‚Neu-Absolutismus.‘' 15) Die öffentliche Kritik war schon seit der Oktoberrevolution stark eingeschränkt, was besonders im Zeitungswesen zu beobachten ist. KANN führt weiter aus: 'in der von 1849 bis mindestens 1860 in Österreich erschienenen politischen Literatur muß man vielfach zwischen den Zeilen lesen, und nicht jeder zur Schau getragene Konservatismus war so aufrichtig, wie er sich gab.' 16)

Die Realisierung des Kremsierer Verfassungsentwurf hätte die Donaumonarchie, sowohl politisch als auch wirtschaftlich, zu einem modernen Staat gemacht. 'Jene, die an der Auflösung des Reichrates beteiligt waren, haben damit vor der Geschichte die Schuld auf sich geladen, als die ersten an der Zerstörung des Völkerreiches an der Donau mitgewirkt zu haben.' 17)
Text: AH Jux

Fortsetzung folgt


5) Wiener Abendzeitung. 19. Juli 1848.

6) verfassungen.at/at-18/verfassungsentwurf49-i.htm

7) Ebenda §1.

8) Ebenda §113.

9) Kaiserliches Manifest vom 4. März 1949. verfassungen.at/at-18/manifest.49.htm

10) ebenda

11) Ost-Deutsche Post. 11. März 1849.

12) Die Geissel. Tagblatt aller Tagblätter. 10. März 1849.

13) Wiener Theater-Zeitung. 10. März 1849.

14) Die Presse. 10. März 1849.

15) Kann. 2.Band. S.57.

16) Ebenda. S.57.

17) Görlich-Romanik. Geschichte Österreichs. Tyrolia-Verlag-Innsbruck- Wien. 1966. S.384.


QUELLEN

Als Grundlagen dienten folgende Bücher:

• Ernst Bruckmüller. Österreichische Geschichte. Böhlau Verlag Wien Köln Weimar. 2019.

• Heinrich Drimmel. Franz Joseph. Amalthea Wien München. 1983.

• Ernst Joseph Görlich-Felix Romanik. Geschichte Österreichs. Tyrolia-Verlag. Innsbruck Wien. 1966.

• Robert A. Kann. Das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie.

• Erster Band: Das Reich und die Völker. Zweiter Band: Ideen und Pläne zur Reichsreform. Verlag Hermann Böhlaus Nachf./ Graz-Köln. 1964.

• Alfred Payerleitner. Adler und Löwe. Krenmayr & Scheriau. Wien.1990.
Kontakt für allfällige Rückmeldungen:
blech-bote@aon.at

zuletzt geändert: 08.04.2025 um 21.59 Uhr