Nummer 7/2024 | ||
Populismus
Kein Jux, sondern Gedanken zum Begriff 'Populismus', die gerade vor einer Wahl besonders aktuell sind. |
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Der Begriff Populismus, oder als Eigenschaftswort populistisch, wird von Journalisten in fast allen Nachrichtensendungen beansprucht, um Parteien und Organisationen moralisch herabzusetzen und sie als demokratiefeindlich zu charakterisieren. Der Begriff wird in polemischer Absicht zur Kennzeichnung von Politikern und politischen Strömungen benutzt, wobei das Spektrum, je nach agitatorischer Absicht, zwischen 'links und rechts' und 'progressiv und reaktionär' voll bedient wird. Keine politische Gruppierung nimmt den Begriff für sich in Anspruch; er wird stets journalistisch oder von politischen Gegnern zugeschrieben. Wegen seiner Bedeutungsbreite entzieht er sich einer Definition kann aber anhand einiger Charakteristika veranschaulicht werden:
Populistische Bewegungen verstehen sich zumeist als Protest – oder Basisbewegungen. Sie richten sich gegen bestimmte Erscheinungen einer von Industrie, Technik, Organisationen und Zentralisation geprägten Gesellschaft. Besonders gegen bestimmte Organisationen, wie Gewerkschaften, Kammern (Ärztekammer, Arbeiterkammer) wird heftig polarisiert. Als Adressaten der Bewegung werden nicht Klassen oder Schichten angesprochen, sondern allgemein die 'kleinen Leute' oder 'unsere Leute'. Deren Bedürfnisse, Ressentiments (Animositäten, Antipathien), sowie deren oft berechtigte Ängste werden aufgegriffen, bestätigt, verstärkt, politisiert und instrumentalisiert. Populisten treten gerne – und erfolgreich – als antielitär und als antiintellektuell (wissenschaftsfeindlich) auf. Komplexe und differenzierte Problem-Analysen werden vermieden, dagegen werden einfache Rezepte basierend auf gesunden Hausverstand oder Volksempfinden vorgezogen. Ziel der Populisten ist das 'Volkswohl', das es gegen anonyme Mächte (Kapital, Bürokratie oder Banken) zu schützen gilt. Internationalen Organisationen ('Brüssel') stehen Populisten ablehnend gegenüber. Angestrebt wird das Ideal einer unmittelbaren Teilnahme an der Politik. Eine solche 'direkte Demokratie' könnte auf Zwischeninstanzen wie Parlamente verzichten. Populistische Argumentations- und Mobilisierungsstrategien werden allseits eingesetzt. Am besten lässt sich dies durch eine Abwandlung eines Textes der Austropop-Gruppe EAV demonstrieren: 'Populismus ist immer und überall!' Folglich lässt sich der Begriff auch auf historische Erscheinungsformen beziehen. Darauf soll nun kurz und exemplarisch (didaktischer Fachbegriff für 'Mut zur Lücke') eingegangen werden: In der Zeit der Römischen Bürgerkriege (133-30 v. Chr.) geriet die Römische Republik in eine schwere Krise. Sie wurde durch Auseinandersetzungen zwischen den Optimaten, dem konservativ-aristokratischen Senatsadel, und den Popularen, welche sich auf Volksversammlungen stützten, verursacht. In den USA wurde in den 1870er Jahren die 'Farmers' Alliance gegründet, sie führte zur kurzlebigen 'Populist Party', die offiziell 'People’s Party' hieß. In Russland des späten 19. Jahrhunderts existierte eine sozialrevolutionäre Bewegung, genannt Narodniki (Volkstümler, Volksfreunde). Sie wurde von revolutionär gesinnten Akademikern getragen, welche ihr Milieu verließen und als einfache Arbeiter oder Bauern lebten. Damit beabsichtigten sie das einfache Volk über soziale Missstände aufzuklären. Ihr schwärmerisches Gedankengut beeinflusste den Schriftsteller Leo Tolstoi. Louis-Napoleon Bonaparte, Neffe des Kaisers Napoleon, war 1848-1852 Staatspräsident der 2. Republik. von 1852-1870 regierte er als Kaiser Napoleon III. Wie erreichte er diese Positionen? Er startete seine politische Karriere mit einem missglückten Putsch, der zu seiner Exilierung nach New York führte. 1848 kehrte er nach Frankreich zurück und stellte sich einer Volkswahl. Seine populistische Wahlwerbung führte zum Sieg. Als Präsident begann er seine Macht abzusichern: Behinderung und Verfolgung von politischen Gegnern, Manipulationen von Wahlen. Nachdem ein Versuch sich seine Amtszeit durch Parlamentsbeschluss auf 10 Jahre verlängern zu lassen scheiterte, ließ er sich diese durch ein Plebiszit verlängern. Ein weiteres Plebiszit führte zur Wiederherstellung des Kaisertums. Per Senatsbeschluss wurde er sodann Kaiser. Er regierte diktatorisch; Gegner wurden verhaftet und auf die Teufelsinsel deportiert. Viele Anhänger der Demokratie mussten das Land verlassen. Auf weitere Beispiele, wie man mittels populistischer Vorgangsweise eine Demokratie zu einer Diktatur umgestaltet werden kann, soll – weil sattsam bekannt – verzichtet werden. Wie soll man Populisten entgegentreten? Zunächst sollte man sich nicht nur mit den Proponenten befassen. Für den Journalismus sind Aktionen der Populisten, etwa Wortspenden, willkommen. Dadurch wird populistische Gruppierungen permanent mediale Präsenz geboten. Es wäre weitaus wichtiger sich mit den Motiven ihrer Anhänger, die oft berechtigt sind, auseinanderzusetzen. Text: AH Jux
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