Nummer 2/2024
Des Widerstands Sinn und Unsinn


Dantes philosophische Betrachtungen: Die feinen Unterschiede zwischen Erinnerungs- und Empörungskultur

Redaktionelle Anmerkung: MKVern, welche die Verbandszeitschrift 'Couleur' aufmerksam gelesen haben, werden die folgenden Zeilen vielleicht bekannt vorkommen. Da unsere Publikationen aber auch an Landsmannschafter und ÖCVer verbreitet werden, wollen wir die Gedanken unseres Bundesbruders Dante in diesem Kreis ebenfalls bekannt machen und allen anderen die Möglichkeit geben, seine Beiträge, die wir im Laufe der nächsten Monate im Blech-Blog präsentieren, nochmals bewusst nachzulesen. (raf)

Wir erleben aktuell eine fast allgegenwärtige Kultur der Empörung, des Protests, des Widerstands. Fast möchte man meinen, wer sich einer bestimmten Sache wegen nicht empört, wer nicht widerständig ist und nicht mit außerordentlichen Mitteln gegen die Mehrheitsgesellschaft vorgeht, kann nicht ganz normal sein. Diese Empörung ist, um mit dem Widerstandskämpfer und Holocaust-Überlebenden Stéphane Hessel zu sprechen, ein moralisches Gefühl, eine Reaktion auf Unrecht. Dagegen muss vorgegangen, protestiert, gekämpft werden. Systemkonformität wird von den neuen Aktivisten in diesem Zusammenhang im gleichen Atemzug wie Konservativität als negativ, unflexibel und beeinflusst dargestellt, weil nicht auf die auslösenden Faktoren des Protestes eingegangen wird. Oft fallen in diesem Zusammenhang auch Vokabel wie Mitläufer, Opportunist oder angry white male. Dabei ist die Möglichkeit, Widerstand leisten zu können, politisch wie gesellschaftlich äußerst wichtig. Denn ohne gegen Ungerechtigkeit oder Missstände auftreten zu können, und damit wahrgenommen zu werden, wäre Demokratie unmöglich.

Egal ob gegen Teuerung, soziale oder Klimamaßnahmen opponiert wird: Widerstand passiert meist durch eine mehr oder weniger organisierte Gruppe gegen die Mehrheitsgesellschaft. Durch die Digitalisierung unserer Welt ist es äußerst einfach geworden, immer und überall mit Gleichgesinnten in Verbindung zu treten, mediale Breitenwirkung zu schaffen und damit transnational sozialen wie politischen Druck aufzubauen. Ausdruck dieser Empörungs- und Widerstandskultur sind Bewegungen, die – nicht immer im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen agierend – die Gesellschaft umgestalten oder lenken wollen. Sie agieren unter dem Deckmantel der Diversität und/oder der Verbesserung schlimmer Zustände. Die geforderten Verbesserungen richten sich dabei historisch entweder auf sozial gegenwärtige (Black Lives Matter) oder zukunftsgerichtete (Die letzte Generation) Ziele. Und sie agieren als Minderheiten geradewegs über die (schweigende, duldende) Mehrheitsbevölkerungen hinweg, zur Erreichung eines singulären, einzelnstehenden, höheren Ziels. Die Aktivisten sehen sich, oft in religiös anmutendem Eifer, als Hüter der letzten und höchsten Wahrheit, weshalb dabei viele Dinge in Kauf genommen werden, die im legalen bzw. sozialverträglichen Bereich nicht mehr akzeptabel erscheinen. Alles ist gerechtfertigt, solange nur das Ziel erreicht wird. Beispielsweise Suppe auf Gemälde schütten, gefährliche Situationen im Straßenverkehr herbeiführen oder Tankanlagen zerstören. Alles, um auf die Dringlichkeit und Notwendigkeit des Themas aufmerksam zu machen. Auch die allseits bekannten und oft gescholtenen Klima-Klebeaktionen dienen 'nur' der Sensibilisierung der Mehrheitsbevölkerung, damit diese sich des Themas annehmen muss und Druck auf die amtierende Staatsführung aufgebaut wird.

Mit dem Einwirken in inner- und überstaatliche Entscheidungsprozesse stellt sich aber sofort die Frage, ob die Protestbewegungen und deren Aktionen alle legitim sind. – Ich denke: keinesfalls. Selbst die Rebellion bedarf einer Ethik, eines Reglements, einer breit angelegten Legitimation. Dieser Regel müssen sich auch die eingangs beschriebenen Aktivisten und Widerstände unterwerfen. Der geleistete Widerstand ist hier (a-)soziales Handeln gegen eine als illegitim wahrgenommene Herrschaftsordnung mit dem Ziel die gute, von den Herrschenden pervertierte Ordnung zu erhalten oder wiederherzustellen. Evident ist jedenfalls: je höher die Ziele gesteckt, je dringlicher die Ungerechtigkeit oder das Elend wahrgenommen wird, desto aggressiver wird auch dagegen vorgegangen. In philosophischer Hinsicht, und dessen dürften sich die Empörer meist nicht bewusst sein, tritt das am klarsten bei Nietzsche in Erscheinung. Er sieht im Widerstand eine notwendige Bedingung menschlicher Größe und legt in seinem 'Antichrist' dar, dass man den höchsten Typus freier Menschen dort findet, wo der höchste Widerstand überwunden wird. Deshalb kann man auch nur von gelungener Dissidenz oder Opposition sprechen, wenn sich wirklich etwas im Sinne der Aktivisten ändert.

Gelingt der Widerstand, ändern sich die Regeln oder das Verhalten der Mehrheitsbevölkerung, tritt die Vergessens-Sicherung auf den Plan. Dies passiert über kulturelles Gedächtnis. Durch die Erinnerung an vergangene Ereignisse und Taten werden Gegenwart wie Zukunft geprägt, eingeordnet und (lebenswert) gestaltet. Ernst Bloch schreibt über das Begriffspaar Erinnerung und Hoffnung in seinen 'Grundlagen', dass sie Mahnung und Eingedenk sind. Sie sind moralischer Kompass und Wissen für Vergangenheit und Zukunft. Die hebräische Mystik hat dazu ein Sprichwort geprägt: Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung. Dieser Erinnerungsentwurf hat eine natürliche Kraft, die auch unsere christlichen und säkularen Traditionen des Erinnerns bereichert. Erinnern zielt in diesem Zusammenhang immer auf das (individuelle wie auch kollektive) Verständnis des Schicksals, das Verständnis von Konflikt, Krieg, Unglück und Not. Nur wer die Gabe und das Wollen der Erinnerung eignet, ist fähig aus der Vergangenheit zu lernen und sich damit aus den oft über Generationen schwelenden Übeln zu befreien. Erst mit solcher Erinnerung kann fruchtbare Kultur geschaffen werden. Auch in der germanischen Edda gab es ein analoges Beispiel im Grimnismal. Dort ließ Göttervater Odin seine beiden Raben jeden Tag einmal die Erde umrunden und ihm alles Neue zutragen. Der eine, Hugin, stand dabei für Wissen, Weisheit und Reflexion. Der andere, Munin, für Erinnerung, Erfahrung und Gedenken. Odin fürchtete, dass einer der beiden irgendwann einmal nicht mehr heimkehren würde. Doch mehr als um Hugin ängstigte er sich um Munin. Das Ausbleiben des Letzten hätte nämlich viel tiefgreifendere Auswirkungen als das des Ersten. Auch an diesem Beispiel zeigt sich deutlich der hohe Wert von Erinnerung und Gedenken für Gesellschaft und Kultur. In gleicher Façon kann man alle Hochkulturen durchforsten und ähnliche Begebenheiten finden. Die Erinnerung, das scheint evident, ist fundamentaler Teil jeder Kultur. Zum ersten, um auf eine Geschichte zu verweisen, sozusagen als Legitimation der Herkunft, des Sinns und der Tradition. Zum Zweiten, um im Hier und Jetzt die Zukunft vorzubereiten, sie zu lenken und möglich zu machen.

Um die Erinnerung gesellschaftlich fruchtbar zu machen, benötigen wir Geschichten im Sinne von Erzählungen, die sich in den Menschen wiederfinden. Geschichten, die sich aus historischen Ereignissen, aus Taten Einzelner und/oder Gruppen, Nationen, Völkern etc. speisen; die wir alle heute noch in uns tragen und unsere Kultur als Gesamtes ausbilden. Die Erinnerung als kulturelles Gedächtnis eines Volkes kann viele Jahre, gar Jahrhunderte überdauern. Beispielsweise reichte die Amselfeld-Rede Slobodan Milosevics, 600 Jahre nach der gleichnamigen Schlacht, um die Jugoslawienkriege der 1990-er Jahre loszutreten. Viele solcher Geschichten und Begebnisse werden in den Staaten tradiert und bilden nationale Identität(en) und Kultur(en). Jedes Land hat damit seine individuelle Erinnerungskultur, die sich, je nach Überlieferung und ideologischer Einbettung, unterschiedlich darstellt.

In der österreichischen Erinnerungskultur gibt es seit Mitte der 1990-er Jahre neben den Themen der österreichischen Unabhängigkeit, des Staatsvertrags und ähnlichen identitätsbildenden Motiven, einen starken Fokus auf die Opfer des Holocaust. In der Erinnerungskultur in diesem speziellen Sinn geht es um tragische Begebenheiten. Geschichten vom Sterben und Krieg, vom Wegschauen, Ausgrenzen und Abwerten, von Verfolgung und Deportation. Wenn im Kontext dieses System des Terrors, das mit Gestapo, Konzentrationslagern und dem Führerwillen Opposition unterband und Dissidenten verfolgte, an den Widerstand erinnert wird, zeigt sich nicht bloß eine (Werte-)Haltung, sondern immer auch das aktive Handeln unter Inkaufnahme von Gefahr. Die Lehre aus der Geschichte lautet: Widerstand ist notwendig. Und Widerstand ist rechtmäßig, das ist ein Gebot demokratischer Überzeugung, die Demokratie bewahren will. Wenn wir vergessen, wenn wir uns nicht mehr erinnern, werden die zerstörerischen Tendenzen neue Wege finden, werden die negativen Auswirkungen erneut auftreten und wirksam werden. Deshalb brauchen diese Geschichten dauerhafte Bearbeitung, Bekenntnis und Leben. Auch, wenn es oft schwer ist sie auszuhalten. Deshalb braucht es dafür Orte und Riten des Gedenkens. Denn mit der kollektiven Erinnerung an diese Begebenheiten ist auch unsere Zukunft verbunden. Deshalb ist das Gedenken an sie noch immer ein bewusster und identitätsstiftender Akt des kollektiven Erinnerns.

Am Ende stellt sich die Frage, ob denn die Protest- und Empörungsbewegungen von heute in der Zukunft ebenso gesehen werden können. Ob Greta Thunberg, Carola Rackete oder ähnliche AktivistInnen wahrhaftig, unter Gefahr für das eigene Leben gegen ein übermächtiges System handeln. Dann muss auch hier eine Form der Erinnerungskultur Einzug halten. Oder ob sie bloß 'zivilcouragiert' einer Idee hinterherrennen und als Störgeräusche während einer kulturellen Empörungsphase gelten werden. Das kann und wird nur die Zukunft weisen.
Text: TEW Ph-xxx Dante

Aus der Verbandszeitschrift 'COULEUR', Ausgabe 1/23
Kontakt für allfällige Rückmeldungen:
blech-bote@aon.at

zuletzt geändert: 28.02.2024 um 20.27 Uhr