Nummer 3/2023
Trockenzeiten

Kein Jux! Gedanken zum Zustand des Neusiedlersees.

Mit dem Urknall entstand das Universum. Bei dessen Entwicklung ist stets Veränderung beobachtbar. Auch bei der Entwicklung und Entfaltung des Lebens auf unserem Planeten ist Veränderung, manche Philosophen würden vom Werden sprechen, eine Konstante. Die Erdoberfläche und das Klima haben sich schon mehrmals verändert, endogene und exogene Kräfte haben dies bewirkt. Lebewesen mussten sich um zu überleben an die Umwelt anpassen. Sie haben dabei allerdings auch ihre Umwelt nachhaltig verändert. Besonders die species homo gestaltete ihre Umwelt tiefgreifend. Durch zivilisatorische hauptsächlich industrielle Aktivitäten erfuhren solche Veränderungen eine Beschleunigung. Die Wissenschaft nennt diese neue geochronologische Epoche als Anthropozän.

Anzeichen für grundlegende Veränderungen zeigen sich im Verlust von Eismassen, in Klimaerwärmung und in der Luftverschmutzung. In vielen Gebieten wird Trockenheit zum Problem, wie etwa in Österreich die drohende Austrocknung des Neusiedlersees. Steppenseen trocknen manchmal aus, um sich später wieder zu füllen. Ich möchte dies am Beispiel dieses Gewässers kurz darstellen. Nun zu den historischen Quellen: 1782 wird von einem ständigen Ausbreiten des Sees berichtet und es wird gehofft, dass durch Ziehung verschiedene Kanäle das Gewässer zu Wohle des Landes ausgetrocknet werde. Die sich in Ungarn befindlichen 'Moräste', für Menschen und Vieh unbrauchbar, sondern auch verderbliche Ausdünstungen aus 1). Auch 1861 wird die Gegend um den Neusiedlersee als Fieberboden bezeichnet 2). Es gab auch Vorschläge den Neusiedlersee abzuleiten und in ein Kanalsystem einzubeziehen, um Verbindungen Ungarns mit der Adria und dem Schwarzen Meer herzustellen 3).

1863 beginnt die Verlandung. Der See befinde sich auf Wanderschaft; er sei nicht mehr an derselben Stelle wie früher zu finden. Diese Meldung einer Gemeindezeitung verweist auf die beginnende Austrocknung. Diesem niedrigen Wasserstand sei es auch zu verdanken, dass eine schon den Römern bekannte und damals für Heilzwecke genützte Sauerbrunnenquelle wieder sichtbar sei 4). In diesem Sommer herrschte ein großer Wassermangel im ganzem Ödenburger Komitat. Der See besaß kaum mehr die Hälfte seiner früheren Größe. Über das Ausmaß und die Folgen berichtet die Vereinigte Laibacher Zeitung am 22. August 1863: 'Wo sonst Wasser war, wird jetzt gepflügt, und schädliche Miasmen 5) machen sich weit und breit fühlbar. Das ganze Oedenburger Komitat leidet an Wassermangel und Dürre; in einigen Dörfern ist kein Tropfen mehr vorhanden und das Wasser muß für Mensch und Vieh stundenweit herbeigeführt werden. Das Obst fällt ab, die Weintrauben bleiben klein oder verdorren.'

Am 1. Oktober 1865 unternahmen einige Honoratioren eine Expedition auf dem ausgetrockneten See. Die Teilnehmer bewegten sich 'auf dem muschelartig gebrochenen und von reicher Soda- Ausschwitzung silberhell glänzenden Seeschlamm' 6) über den ehemaligen Wasserkörper. Der Berichterstatter der Expedition, ein evangelischer Pfarrer, bedauert den Ausfall des Betriebes von Bade- und Heilbadeanstalten, sowie die negativen Auswirkungen für Fremdenverkehr und Weinwirtschaft. Die Frage nach den Ursachen, etwa der Torfstich oder der Ausbau des südwestlichen Abflusses oder das Versiegen unterirdischer Quellen, kann nicht mit Sicherheit festgemacht werden. Jedoch: 'Aehnliches soll, wie alte Chroniken erzählen, demselben auch schon in früheren Zeiten begegnet sein; so im Jahre 1693 und dann wieder 1738, da der See so völlig vertrocknet war, daß ein Ruster Bindermeister die Wette gewann, der sich anheischig machte, denselben um ein Faß Wein trockenen Fußes zu durchschreiten.' 6) Soweit der im königlichen Archiv Ödenburgs hinterlegte Expositions- Akt.

Ab 1863 häufen sich Berichte über eine sukzessive Verlandung des Gewässers. Im Herbst 1865 gilt der See als vollkommen ausgetrocknet. Eine landwirtschaftliche Nutzung scheint problematisch. Dazu das Gr(oß)-Becsereker Wochenblatt: 'Der Boden des gänzlich versiegten Neusiedlersee's, ist wegen seines starken Salz- und Kalkgehaltes, wie vorgesehene Untersuchungen ergeben haben, zu landwirthschaflichen Zwecken unbrauchbar und höchstens zur Anpflanzung einiger Baumarten geeignet.' 7) Als wirtschaftliche Verwendungsmöglichkeiten des Salzgemisches, bestehend vorwiegend aus Glaubersalz, Soda und Kochsalz, schlägt die Tageszeitung Die Debatte die Verwendung für die Glasindustrie vor. Als Abnehmer käme die Steiermark in Betracht. 8)

In den nächsten Jahren kam es zu wiederholt zu leichter Auffüllung, so März 1867, und dann wieder im November zur Versiegung. Die Austrocknung wird als Landgewinn (Neues Land in Ungarn' 9) optimistisch beschrieben: 'Der Neusiedlersee soll nun definitiv aus der Reihe der Gewässer gestrichen werden, und übers Jahr wird, wenn das Glück günstig ist, bereits das Getreide seine goldenen Wogen schlagen, wo früher die Salzfluth glänzte. Nach den Erfahrungen über die Fruchtbarkeit des aus dem Meere abgewonnenen Landes, welche in Holland gemacht wurden, darf man wol erwarten, daß die Arbeit dort den glänzensten Lohn finden werde, […].' 9) Die Neue Freie Presse nennt die Besitzer der nächstgelegenen Herrschaften, den Fürsten Eszterhazy und das Stift Heiligenkreuz; sie hätten ihre Areale bedeutend vermehrt.

Voraussagen, dass sich der Neusiedlersee nie mehr wasserführend sein werde, erwiesen sich damals als bloße Vermutungen. Die ersten Berichte über die Füllung sind vorsichtig gehalten. So berichtet im Jänner 1871 die Wiener Zeitung: 'Im Neusiedlersee, der seit Jahren nur aus alter Gewohnheit ein See genannt wurde, hat sich an mehreren Stellen wieder Wasser angesammelt.' 10) Bereits Mitte März stehen Tausende Joch Äcker und Wiesen unter Wasser. 'Bemerkenswerth ist aber vor Allem dieses: nächst Pamhagen ist auch derselbe Canal, welcher seinerzeit das überflüssige Wasser des Neusiedlersees und des Hansag 11) in die Donau abgeben sollte; eben durch diesen Canal wird dem Seeboden eine Wassermenge zugeführt, welche durch diesen einzigen Zufluß hinreichend wäre, den See in Bälde zu füllen.' 12)

In der Gegenwart werden Pläne, den See mit Donauwasser zu versorgen mit dem Hinweis auf negative ökologische Folgen, vehement von Umweltschützern abgelehnt. 1871 erfolgte die Auffüllung des Gewässers durch Donauwasser, ohne bekannte nachgewiesene negative Folgen. Bald stellte sich besonderer Fischreichtum ein. Aus dem Neusiedlersee stammende Fische wurden in größerer Menge auf dem Fischmarkt am Donaukanal gehandelt. 13) 1886 fanden wieder Segelregatten statt. Die Fremdenverkehrswirtschaft entwickelte sich. Dessen ungeachtet wurden Projekte einer Entwässerung betrieben, welche jedoch abgelehnt wurden. Schon damals bestand ein ausgeprägtes Umweltbewusstsein: 'Unstreitig gehört dieses Gebiet geologisch und klimatologisch zu den interessantesten und geheimnisvollsten der ganzen Monarchie, und ist und bleibt der Schutz und die Erhaltung des von der Natur hier Geschaffenen auch für die weitere Umgebung höchst wünschenswerth.' 14) Respekt!!!

Um 1922 wurde wieder über eine Austrocknung diskutiert. Eine vollständige Austrocknung würde eine Mehrproduktion an Getreide und eine beträchtliche Erhöhung des Viehbestandes ermöglichen. Technisch wäre eine Austrocknung mittels eines Umfassungskanals; er sollte die Zuflüsse von Wulka und Kreisbach aufnehmen; durch sommerliche Verdunstung könnte dann der See für immer austrocknen. Schwieriger dürfte sich die politische Durchsetzung gestalten, denn den Besitz des Sees teilen sich nun Österreich und Ungarn. Die Aufnahmestelle für den Ableitungskanal läge nun in Ungarn. Ein Einverständnis mit Ungarn wäre erforderlich. 15)

Gegen die Trockenleger wurden Vorhalte aufgeboten: Das Wasser sei ein vorzüglicher Wärmespeicher, der einen Wärmeausgleich, welcher die Ergiebigkeit des Bodens und die Fruchtqualität erhöhe. Der durch Trockenlegung gerinnbare Boden wäre für die Landwirtschaft größtenteils unbrauchbar. 16) Der See blieb erhalten.

Heuer (2022/23) leidet der Neusiedlersee unter akutem Wassermangel. Steppenseen trocknen oft aus. Biologen sprechen geradezu von einem Recht auf zeitweilige Verlandung. Im Fall des Neusiedlersees sind solche Ereignisse in historischer Zeit gut dokumentiert. Der See ist aber in einer Kulturlandschaft gelegen, weshalb Pläne für eine rettende Wasserzuführung existieren. Eine Zuleitung von Donauwasser wird mit ökologischen Vorbehalten strikt abgelehnt. Die Tatsache, dass bereits, wie oben erwähnt, Donauwasser den See auffüllte, dürfte in Vergessenheit geraten sein.

Ob in Zeiten der Klimakrise der See gerettet werden kann muss bezweifelt werden, da in der Umgebung des Gewässers, wie etwa in der Mitterndorfer-Senke, der Grundwasserspiegel dramatisch absinkt. Die als Erholungsgebiete gestalteten Schotterteiche, früher despektierlich als Hofratsteiche bezeichnet, gleichen derzeit eher Schotterwüsten. Bei der Geschichte der Wasserführung des Neusiedlersees lassen sich sowohl wirtschaftliche Überlegungen, als auch Verantwortung für die Umwelt beobachte. Grüne Ideen sind keine Erfindungen der Gegenwart. Sie wurden auch, wie im Fall des Neusiedlersees erfolgreich durchgesetzt. Auch ohne Verwendung von Klebstoff!
Text: AH Jux
Symbolfoto: DDr.cer. Raffael

1) Reichpostreuter, 9. Dezember 1782.
2) Zeitschrift der k.k. Gesellschaft der Äerzte zu Wien, 1861. 2. Band, Beilage, 220.
3) Neue Militärische Zeitschrift, 1863 Heft 4.
4) Gemeinde Zeitung: unabhängiges politisches Journal. 15. August 1863.
5) Krankheitsverursachende Materie, die durch faulende Prozesse in Luft und Wasser entstehen.
6) Oedenburger Lokal- Blatt, 8. Oktober 1865.
7) Gr(oß)-Becskereker Wochenblatt, 14. April 1866.
8) Die Debatte, 23. Juni 1866.
9) Neue Freie Presse, 10. November 1867.
10) Wiener Zeitung, 10. Januar 1871.
11) Hanság (deutsch. Wasen) eine Niedermoorlandschaft südöstlich des Neusiedlersees. Heute durch den Einser-Kanal entwässert.
12) Neue Freie Presse, 13. März 1871.
13) Illustrirtes Wiener Extrablatt, 3. August 1877.
14) Wiener Landwirtschaftliche Zeitung, 26. Dezember 1900.
15) (Neuigkeits) Welt Blatt, 24. März 1922.
16) Reichspost, 17. März 1925.
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zuletzt geändert: 29.03.2023 um 22.19 Uhr