Nummer 2/2023
Karriereplanung

Kein Jux! Beim Studium alter Zeitungen fanden sich interessante Beiträge über eine Karriereplanung mittels Giftes.

In den Jahren vor dem 1. Weltkrieg wurden viele Skandale und Affären, die Angehörige der gemeinsamen Streitkräfte betrafen, bekannt. Duelle, Soldatenmisshandlungen und Spionage-Affären, nicht nur der besonders wirkmächtige Fall Redl, waren zwar nicht an der Tagesordnung, aber häufig in der Berichterstattung präsent. Eine besonders die Berichterstattung dominierende Affäre war der Fall des Oberleutnants Adolf Hofrichter, da hier die Möglichkeit zu einer Instrumentalisierung für verschiedenste Zwecke bestand. Es wurde ausführlich davon Gebrauch gemacht.

Am 19. November 1909 wird vom plötzlichen Tod des 38-jährigen Generalstabsoffiziers Hauptmann Richard Mader berichtet. Nach Feststellung der Todesursache, die zweifelsfrei als eine Vergiftung durch Zyankali erkannt wurde, wurde publik, dass es sich um einen Giftmord handelt. Auch von einem hektographierten Brief eines angeblich 'Charles Francis', der Pillen enthielt, welche Behebung der Mannesschwäche versprachen, war bereits berichtet worden. Die Illustrierte Kronenzeitung erkennt ein geheimnisvolles und entsetzliches Massenverbrechen. Die bisherigen Anschläge waren nur gegen die Standesgruppe der Absolventen der Kriegsschule gerichtet, die alle der Wiener Garnison angehörten und es sei nicht auszuschließen, dass solche Giftattentate auch auf andere Generalstabsoffiziere in Provinzgarnisonen geplant wären. Am 23. November schreibt die Kronenzeitung über Vermutungen, dass es sich wahrscheinlich beim Täter um eine Person handeln könnte, die sich zurückgesetzt oder benachteiligt glaubt und sich aus wirklichem oder eigebildetem Grund an jenen zu rächen beschloss, an deren Stelle er hätte sein können. Mit dieser Vermutung kommt das Blatt nahe an die Wahrheit heran.

Am 28. November berichtet die Kronenzeitung nicht nur über die Verhaftung des Oberleutnants Adolf Hofrichter, sondern sie trifft bereits eine Vorverurteilung und nennt seine Motive: Neid und Ehrgeiz. Außerdem wird über seine militärische Ausbildung berichtet und schließlich konstatiert, dass es keine weiteren Aussichten für ihn gegeben hätte in den Generalstabsdienst übernommen zu werden. Die Beseitigung der Vordermänner in der Ernennungsliste wäre seine einzige Hoffnung gewesen: 'Der Tod sollte ihn von denjenigen befreien, die er um ihren höheren Rang beneidete, der Tod sollte ihm die Vordermänner aus dem Weg räumen.' 1)

Das Vaterland, das als schwarz-gelb, klerikal und als Blatt des Thronfolgers Franz Ferdinand galt, stellt aufgrund vorliegender Verdachtsmomente betroffen fest: 'Aber so sehr man auch die endliche Lösung des Geheimnisses mit aufrichtiger Befriedigung begrüßen muß, so betrübend ist der eine Umstand daran, daß es ein Angehöriger unseres ritterlichen , ausgezeichneten und hochstehenden Offizierskorps ist, den Verblendung, schlecht angebrachter Ehrgeiz, Rachegefühl oder was sonst, zum gemeinen Meuchelmörder, zum Mörder an den eigenen Kameraden, den Waffengefährten werden ließ.' 2)

Die Arbeiterzeitung sieht einen Zusammenhang zwischen dem Beruf Hofrichters und der Tatbegehung. Er wäre Offizier aus Leidenschaft und unterscheide sich in keiner Wese von seinen Kameraden. Er wäre durchaus der Typus von Offizier, wie er gemäß den Gesetzen des Militarismus sein soll und diese sehen das Töten vor. Die AZ bemüht hier, ihrer Ideologie entsprechend, die Milieutheorie, laut der Charakteranlagen in sozialen Umständen ihre Entsprechung finden. Am 3. Dezember waren die polizeilichen Erhebungen abgeschlossen und das Aktenmaterial wurde den Militärbehörden übergeben. Es findet sich kein Presseerzeugnis, welches mehr als andeutungsweise eine Schuld für möglich hält. Die öffentliche Meinung, so darf man daraus schließen, dürfte ähnlich gewesen sein. Die AZ erweist sich weiter als Verteidiger Hofrichters. Besonders wird der schleppende Gang der der Untersuchungen erwähnt und bei ihren Rundumschlägen werden antisemitische und antiklerikale Einstellungen ihrer Leser bedient. Die Zeitung eröffnet im Pressekrieg eine neue Front: ein Redakteur der AZ, Max Winter, verfasste eine Broschüre zum Fall Hofrichter, in welcher er die Beweise der Untersuchungsbehörden akribisch zu widerlegen versuchte. Diese Broschüre wurde konfisziert. Trotzdem konnte die Broschüre weiter vertrieben werden, da sie in Form einer Interpellation im Niederösterreichischen Landtag, eine damals übliche Praxis, eingebracht wurde. Somit war sie wieder in Buchhandel erhältlich.

Am 28. April gestand Hofrichter die Tat. Um in den Generalstab aufgenommen zu werden, hätte er beschlossen eine Anzahl ihm vorgereihter Offiziere durch Zusendung von Zyankalikapseln zu beseitigen. Entscheidend wäre auch die Liebe zu seiner Frau gewesen. Als Generalstabsoffizier hätte er ihr ein sorgenfreies Leben bieten können.

Da die AZ bisher immer die Unschuld Hofrichters behauptete, fordert dessen Geständnis Erklärungsbedarf. Bisher wären die Untersuchungen nur mit indirekten Indizienbeweisen geführt worden und die untersuchenden Behörden hätten Hofrichter bereits verurteilt, ehe die militärische Untersuchung begonnen hätte. Überdies wäre der Öffentlichkeit suggeriert worden, dass alles bereits bewiesen und restlos aufgeklärt sei. 'Deshalb haben wir es für unsere Pflicht erachtet, zu Besonnenheit und Gewissenhaftigkeit eindringlich zu mahnen […].' 3)

Am 24. Mai 1910 wurde Hofrichter dem Kriegsrecht (Kriegsgericht) in Paradeuniform, jedoch ohne Säbel, vorgeführt. Für die Zeitungen begann nun das Warten auf die Veröffentlichung des Urteils. Vermutungen wurden als Tatsachen berichtet. Das Vaterland meldet unter Berufung auf eine wohlinformierte vertrauenswürdige Mitteilung, die Verurteilung auf Tod durch den Strang. Diese Mitteilung konnte sicherlich nicht von wohlinformierter, vertrauenswürdiger Seite stammen, sondern wurde aus der Tatsache des abgelegten Geständnisses und der Wahrscheinlichkeit der Höchststrafe kombiniert. Für große Teile der Öffentlichkeit überraschend wurde Hofrichter nicht zum Tode, sondern zu einer 20jährigen schweren verschärften Kerkerhaft, verurteilt. Als Grund dafür wurde zunächst ein Widerruf des Geständnisses angegeben. Diese Vermutung sollte sich als richtig erweisen. Der Verurteilte wurde in die Militärstrafanstalt Möllersdorf eingeliefert.

Nun zu den Reaktionen zum Fall Hofrichter. Die Danzersche Armeezeitung beschäftigt sich mit dem Hass Ungarns auf die gemeinsame Armee. Dazu bemüht sie einen Artikel des Pesti Hirlap (Pester Journal). Dieses Blatt attackiert die gemeinsame Armee: Hofrichter sei wie sein Name sagt, ein Vertreter der Armee Österreichs, in welcher ungarische Offiziere benachteiligt würden. Das Blatt steigert seine chauvinistischen Angriffe auf die gemeinsame Armee: 'Wir wissen aber, daß beim Militär nicht das Wissen und der Charakter immer das Fortkommen sichern. Wir wissen nur, daß sie dem Volk den Bissen aus dem Munde fortnehmen, dem Lande Geld- und Blutopfer auferlegen; um angeblich unsere gemeinsame Armee zu fördern, verstümmeln wir unsere Kultur und machen unsere Nation arm. Und was ist der Erfolg? Wir bekamen eine Armee, die nur für militärische Paraden ist, und aus deren Geist hervorgeht, daß sie infiziert ist.' 4) Dieser Artikel, etwa 4 Jahre vor Kriegsbeginn, verspricht nichts Gutes. Er veranlasste mehrere Abgeordnete des österreichischen Abgeordnetenhauses dazu eine Interpellation eizubringen, in der gefragt wurde, in welcher Weise für die Niederträchtigkeiten des Inhaltes Genugtuung gefordert werde.

Der Fall Hofrichter beschäftigte auch Karl Kraus. Die Angelegenheit wird in mehreren Ausgaben der Fackel ausführlich behandelt. Da die Leserschaft der Fackel vornehmlich aus sozialdemokratischen und links-liberalen Intellektuellen bestand, muss ein großer Einfluss auf das damalige Bildungsbürgertum angenommen werden. Über die Schuld oder Unschuld Hofrichters und über die Auswirkung des Falles auf die Gesellschaft schreibt Kraus, der sich selbst als Moralist verstand: 'Es wäre besser, wenn kein Giftmord geschähe. Der moralische Schaden, der durch die Verfolgung entsteht, ist größer als wenn man den Täter in Teufels Namen entkommen ließe. Schließlich hat`s einer getan, und dreißig Millionen sind vergiftet.' 5)

Hofrichter wurde im September 1919 begnadigt. Er verstarb 1945 in Wien.
Text: AH Jux

1) Illustrierte Kronenzeitung, 28.11.1909.
2) Das Vaterland, 28.11.1909.
3) Arbeiterzeitung, 30.4.1910.
4) Danzers Armee-Zeitung, 5.5.1910.
5) Die Fackel, 17. 12.1909.
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zuletzt geändert: 27.02.2023 um 21.54 Uhr