Nummer 1/2023
Religion und Ethik

'Halte auch die andere Wange hin' (Mt 5,39) - Der gar nicht so kleine Unterschied zwischen Individual- und Sozialethik.

Die Forderung 'Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst' (Lev 19,18 b) wurde von JESUS aus dem AT übernommen und präzisiert. Erstens, indem Er das Gebot der Nächstenliebe mit dem Gebot der GOTTESliebe zu einem Doppelgebot verknüpfte, und zweitens, indem er den Begriff des Nächsten präzisierte. Im AT war mit Nächster sowohl der Verwandte als auch der Glaubensgenosse gemeint – der Koran verwendet diese Begriffe bis heute so und kommt so zu einer klaren Abstufung: moslemischer Mann – moslemische Frau – Ungläubige. JESUS erweitert den Begriff – aber nicht, wie manche Gutmenschen meinen, automatisch auf alle Menschen. Das bekannte Gleichnis vom barmherzigen Samariter lädt nicht alle Hilfsbedürftigen nach Jerusalem, sondern betont: Nicht Du darfst definieren, wer Dein Nächster ist, sondern GOTT definiert es durch die konkreten Situationen, in die Er Dich stellt. Und das ist selbstverständlich Individualethik.

Als Überleitung zur Sozialethik eine einfache ethische Regel: Ich darf zwar für mich selbst auf Widerstand verzichten, aber nicht für die Menschen, die mir anvertraut sind – also Eltern nicht für ihre Kinder, Lehrer nicht für ihre Schüler, Offiziere nicht für ihre Soldaten, Politiker nicht für ihre Bürger. Hier besteht nicht nur Verteidigungsrecht, sondern auch Verteidigungspflicht – sonst würde man beim Recht des Stärkeren enden, das immer ein Unrecht ist. Auch JESUS hielt nicht immer die andere Wange hin – so etwa korrigiert Er den Gerichtsdiener, der Ihm eine Ohrfeige verpasst (Joh 18,22 f), und vertreibt die Tempelhändler (Mk 11,15 ff; Mt 21m 12 ff; Lk 19, 45 ff; Joh 2, 13 ff): hier verteidigt JESUS die Heiligkeit des Tempels und zugleich setzt er sich für die Armen ein, die beim Kauf von Opfertieren übervorteilt wurden.

Die Sozialethik muss daher im Rechtsgrundsatz begründet werden: meine Freiheitsäußerungen enden dort, wo die des anderen beginnen (KANT) – das gilt zwischen Einzelnen, Gruppen, Staaten und letztlich für die Weltgesellschaft. Im Gegensatz zur Ethik ist die Rechtsebene erzwingbar, da man nicht mit der ethischen Haltung der Einzelnen rechnen kann. Nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs wurde daher 1951 die Genfer Flüchtlingskonvention erlassen: Gemäß § 3 Asylgesetz zählt als schutzwürdiger 'Flüchtling' nur eine Person, die in ihrem Heimatland von den nationalen Behörden aus den in der Konvention taxativ aufgezählten Gründen (etwa Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung) verfolgt wird. Krieg, Bürgerkrieg, Stammesfehden oder wirtschaftliche oder klimatische Probleme zählen nicht dazu!

Daher sind alle Versuche, die Genfer-Konvention und den Unterschied zwischen Flüchtlingen und Migranten aufzuheben und so alle Grenzen unkontrolliert zu öffnen, völkerrechtswidrig. Ähnliches fordert unser derzeitiger Bundespräsident, ohne Rücksicht auf das Völkerrecht. So ist weder in Europa der Bevölkerungsrückgang noch in Afrika die wirtschaftliche und politische Not zu beseitigen. In Europa nicht, weil wir dadurch immer mehr Sozialhilfeempfänger durchfüttern müssen – da wäre ein Müttergehalt hilfreicher. In Afrika nicht, weil wir dort gerade die Arbeitsfähigen abziehen. Sinnvoll wäre eine Hilfe zur Selbsthilfe, vor allem Bildungsprojekte, die aber unbedingt rechtlich abgesichert werden müssten – der gute Wille ist hier sicher zu wenig. Und nicht einmal der ist vorhanden – Afrika ist der an Bodenschätzen reichste, aber der am meisten ausgebeutete Kontinent.

Ferner werden von den Befürwortern der Willkommenskultur ziemlich hinkende Vergleiche angestellt. Schon der Vergleich mit der sogenannten Völkerwanderung hinkt: Die immigrierenden Germanenstämme waren schon christianisiert und bewunderten die römische Kultur – sie wollten sich also anpassen. Auch der Vergleich mit Migrationsbewegungen in der Monarchie und dann nach den beiden Weltkriegen hinkt: Diese Menschen waren Christen aus demselben Kulturkreis.

Die Masseneinwanderung seit 2015 bringt aber Immigranten, die weder unsere Kultur noch unsere Religion teilen. Wer den Koran ein wenig genauer liest, merkt bald, dass es unterschiedliche Typen des Djihad, des Hl. Krieges gibt. Einer davon ist die Emigration & Immigration: 'Die Gläubigen, welche auswanderten und auf Allahs Weg kämpften und dem Prophet Herberge und Hilfe gewährten, das sind die Gläubigen in Wahrheit. Ihnen gebührt Verzeihung und großmütige Versorgung.' (Sure 8/Vers 74). 'Denjenigen, die auf Allahs Weg auswandern und hierauf getötet werden oder sterben, wird Allah ganz gewiß eine schöne Versorgung gewähren. Allah ist wahrlich der beste Versorger.' (Sure 22 / Vers 58).

Genau in der Übernahme der Scharia liegt das Hauptproblem, da diese keine Trennung von Recht / Ethos / Religion kennt. In der Bibel hingegen ist diese Trennung schon im AT grundgelegt und im NT von JESUS näher ausgeführt (etwa in den Antithesen der Bergpredigt). Nach christlicher Auffassung soll möglichst weltweit eine Rechtsordnung gelten, die ein friedliches Zusammenleben der Menschen ermöglicht und offen ist für eine religiöse Überhöhung. Diese Überhöhung darf aber dem friedlichen Zusammenleben nicht widersprechen – m.a.W.: Unsere Toleranz darf nur so weit gehen, als ein friedliches Zusammenleben der Menschen verschiedener Weltanschauungen nicht gestört ist. Dieser Maßstab ist daher auch von den bereits hier lebenden Menschen verschiedenster Weltanschauungen einzufordern – d.h. wer sich nicht an die Verfassung des Gastlandes und die Menschenrechte halten will, kann nicht in Österreich leben.

Eine Gemeindeethik wie die der Bergpredigt kann nie zu einem erzwingbaren Gesetz werden, sie kann nur von allen, die von ihr überzeugt sind, praktisch gelebt werden – was in Rechtsstaaten risikolos möglich ist, in Staaten, die keine Rechtsstaaten sind, aber vieles, u.U. alles kostet.
Text: Ks Liesl (ELW)
Ausgaben
Einheitsübersetzung der Hl. Schrift (EÜ), Stuttgart 1972.
Das NT. Nach der Übersetzung Martin LUTHERS, Stuttgart 1976.
Die Gute Nachricht. Das NT in heutigem Deutsch, Stuttgart 1971, 3.Aufl.
Die Bibel. Deutsche Ausgabe mit den Erläuterungen der Jerusalemer Bibel, ed. D. ARENHOEVEL u.a., Freiburg 1975, 7.Aufl.
Das NT. Übersetzt und kommentiert von U.WILCKENS, Hamburg 1970.
Novum Testamentum Graece, ed. E.NESTLE-K.ALAND, Stuttgart 1979, 26.Aufl.

Aus der Fülle der Literatur seien nur erwähnt:
Kommentar-Reihen
EKK: Evangelisch-katholischer Kommentar, Neukirchen, seit 1975.
HThK: Herders Theologischer Kommentar zum NT, ed. VÖGTLE- SCHNACKENBURG, seit 1953).Die Neue Echter Bibel. Kommentar zum NT mit der Einheitsüber¬setzung, J.GNILKA-R.SCHNACKENBURG, Würzburg.
NTD: Das Neue Testament Deutsch, ed. FRIEDRICH-STUHLMACHER, Göttingen, seit 1932.
RNT: Regensburger NT, ed. KUSS-ECKERT-KNOCH, Regensburg, seit 1938.
STRACK H.-BILLERBECK P., Kommentar zum NT aus Talmud und Midrasch, 4 Bde, München 1922-1928.
Einzelwerke:
Franz KAMPHAUS, Wenn der Glaube konkret wird: Die Bergpredigt, 2018
Eberhard SCHOCKENHOFF, Die Bergpredigt: Aufruf zum Christsein, 2014
Kontakt für allfällige Rückmeldungen:
blech-bote@aon.at

zuletzt geändert: 15.01.2023 um 20.43 Uhr