Nummer 1/2023 | ||
Gefahren des Studentenlebens
Kein Jux! Am Beginn des 20. Jahrhunderts war das Studentenleben offenbar viel gefährlicher als heutzutage. |
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Die meisten Hochschüler mussten außerhalb ihres Wohnortes studieren. So der bisherigen sozialen Kontrolle durch Eltern oder durch die lokale Gesellschaft entzogen, ergaben sich neben persönlichen Entwicklungschancen auch Gefährdungen. Letztere konnten durch gesellschaftliche Kontakte, wie etwa durch Eintritt in akademische Korporationen oder in andere studentische Vereine abgewendet oder minimiert werden. Dennoch galten Studenten während ihrer Studienzeit als gefährdet, so dass von Seite der Professorenschaft ernste Warnungen vor unsittlichem Lebenswandel ausgesprochen wurden. Als Beleg dafür dient ein Artikel (Gefahren die der Jugend drohen) in der Arbeiterzeitung: 1) Professoren der Hygiene an zwanzig deutschen und österreichischen Hochschulen hatten sich zu einem gemeinsamen Schritt in einer Angelegenheit vereinigt, die tief in die Lebensgewohnheiten der Studenten einschneidet, so die Zeitung. Die Professoren warnen zunächst vor einer zunehmenden Verbreitung gewisser Krankheiten und werden schließlich deutlicher: 'In einer sozialen Frage von höchster Bedeutung, der Frage der Enthaltsamkeit, richtet der Professor für Hygiene an der Wiener Universität, Dr. Max Gruber, zu Beginn des Semesters an die Wiener Studierenden einen von zwanzig ausländische Professoren unterzeichneten Aufruf, der ausführt, daß mit jedem Jahre die Erkenntniß wachse, daß die zunehmende Verbreitung bestimmter Geschlechtskrankheiten für unser gesammtes Volk eine überaus ernste und dringende Gefahr bedeute.' 1) Die Studenten werden angewiesen sexuelle Enthaltsamkeit, die ohne jeden Schaden für die körperliche und geistige Entwicklung der Jugend sei, zu üben. Zum Schluss hebt der Aufruf hervor, dass die Unterzeichner, bloß als Ärzte und Vertreter der Gesundheitspflege gesprochen hätten und Gebote der Moral dabei nicht berücksichtigt worden wären. 1) Eine Syphiliserkrankung war tödlich. Patienten mit progressiver Paralyse füllten damals die psychiatrischen Krankenhäuser. Auch die Reichspost 2) propagiert den Appell der Professoren in einem Artikel (Die sittlichen Gefahren der Jugend). Der Aufruf besagter besorgter Professoren wird an sämtliche neuinskripierte Wiener Studenten gerichtet, und benützt geschickt die Angelegenheit um für das katholische Korporationswesen zu werben: 'Im übrigen (sic!) ist der Aufruf der weitgehensten Beachtung werth und ein neuer Beweis, wie segensreich katholische Studenten-Corporationen wirken, in denen die Studenten mit wahrhaft sittlichen, hohen Idealen erfüllt werden.' 2) Neben der Gefährdung durch venerische Ansteckungen, die in damaliger Zeit wegen Fehlens geeigneter Behandlungsmöglichkeiten besonders Besorgnis erregten war auch der Alkoholismus nicht zu unterschätzen. 'Wir sehen es alle Tage, welche verheerende Wirkung das Bier in der Studentenschaft anrichtet, eigentlich nicht das Bier selbst, sondern der Bierzwang, der fast commentmäßig, bestehende Zwang zum Uebergenuß des Alkohols.' 3) Neuerlich sahen sich die Professoren der Wiener Universität veranlasst die Studentenschaft vor sittlichen Verfehlungen zu warnen und ferner haben die angesehenen Professoren der Universität Bonn aus diesem Grund zu einer Studentenversammlung eingeladen. Dort wurde festgestellt, dass die studentischen Trinksitten für die übrige Gesellschaft eine Vorbildwirkung hätten. Deshalb wurde eine Reform der Kneipordnungen gefordert. Diese Aktionen der Universitätslehrer verführt die Reichspost zu einem höchst merkwürdigen Seitenhieb auf die deutschnationalen Korporationen: 'Wir glauben, dass unsere gewisse teutonische Studentenschaft der Tendenz diese Versammlung aufs feindlichste gegenüberstehen würde, denn 'ohne Bier, was wären wir?' 'Mit Bier- regieren wir.' Der Alkoholismus und der Schönerianismus stehen ja in der Studentenschaft im intimsten Verwandtschaftsverhältnis.' 3) Diese Einschränkung des Alkoholmissbrauchs auf die nationalen Verbindungen entspricht der damaligen journalistischen Kampfsituation, doch muss man annehmen, dass auch die katholischen, mosaischen oder die Korpsstudenten nicht mit Wasser oder Himbeersaft kommersierten. Neben der soeben behandelten Trunksucht und der Gefahr an Geschlechtskrankheiten zu erkranken stellten auch Mensuren und Duelle eine nicht zu unterschätzende Gefahr dar. Während Mensuren fast immer ohne schwerere körperliche Schäden abliefen kam es bei Duellen zu Todesfällen und furchtbaren Verletzungen. Darüber hinaus drohten auch strafrechtliche Konsequenzen für alle am Duell Beteiligten, die aber meist glimpflich ausfielen. Auch Begnadigungen durch den Kaiser spielten dabei eine Rolle. Da für katholische Studenten Mensur und Duell, vermöge eines päpstlichen Verbotes nicht in Frage kamen, es drohte die Exkommunikation, war dies Hauptgrund zur Gründung eigener konfessioneller katholischer Korporationen. Mensur und Duell bildeten somit einen ideologischen Graben zwischen deutschnationalen Korporationen, corpsstudentischen Verbindungen und mosaischen Verbindungen einerseits, gegenüber den katholischen Studentenkorporationen. Mit Hinweis auf die Verweigerung von Mensuren wurden letzteren das Recht Schläger zu führen bestritten. Das Thema Duell wurde besonders von der schwarzgelben katholischen Zeitung 'Das Vaterland' behandelt. Ab Juli 1900 bringt die Zeitung mehrere Artikel in denen sie ihren Lesern die Unvernünftigkeit und Verwerflichkeit des Duells klarlegt. Ein Beitrag ist besonders erwähnenswert: In Salzburg wurde ein Einjährig- Freiwilliger von schönerianischen Studenten angerempelt. Der Angegriffene, Mitglied der Wiener Katholischen Studentenverbindung 'Norica', lehnte ein Duell, zu dem ihn der militärische Ehrenrat zwingen wollte, ab. Dies sollte nicht ohne Folgen bleiben. Es wurde ihm mitgeteilt, dass er nicht avancieren würde, allerdings wurde er aber verpflichtet die Offiziersprüfung abzulegen. Dazu meint Das Vaterland: 'Der nächstbeste schönerianische Bierkrügelstudent soll nun jeden Augenblick in der Lage sein, unsere katholischen Studenten nach ihrem Eintritte in den Freiwilligendienst zu Duell zu provociren, sie vor das Ehrengericht zu bringen und wegen Duellverweigerung den Weg zur Officierscharge zu versperren. Wohin in Oesterreich? Die Patrioten werden mit Gewalt aus dem Heere vertrieben, und den Preußenfreunden steht der Weg offen!' 4) Conclusio: Neben gesundheitlicher Gefährdung durch venerische Erkrankungen - vermöge Armut existierte damals eine weitverbreitete unkontrollierte Gelegenheitsprostitution - und Trunksucht, waren deklariert katholische Studenten Provokationen zu Duellen ausgesetzt. Gewalttätige Exzesse auf akademischem Boden waren an der Tagesordnung. Bemerkenswert, in unseren Tagen völlig unverständlich, ist die paternalistische Haltung der Professorenschaft. In der Gegenwart, würde ein ähnlicher Aufruf an die Studenten, heute müsste man wohl Studierende sagen, sofort zu Schnappatmung und medialer Entrüstung führen. Text: AH Jux
1) Arbeiterzeitung, 2.10.1900.
2) Reichspost, 3.10.1900. 3) Reichspost, 18.12.1900. 4) Das Vaterland, 29.8.1900, Abendausgabe. | ||
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