Nummer 9/2022 | ||
Wachau-Touristen
Kein Jux! Gedanken über eine Donauschifffahrt in die Wachau und nationale Konflikte im Jahre 1909. |
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Reisen ist beliebt. Die Motive dafür sind Geschäftsreisen, Urlaube und Bildung. Auch Fahrten mit Kreuzfahrtschiffen erfreuen sich großer Beliebtheit. Als eine Verkleinerung der Reisen kann man Ausflüge, früher auch Landpartien genannt, bezeichnen. Gleich zu gleich gesellt sich gerne. Deshalb waren, und daran hat sich nichts geändert, gemeinsame Ausflüge, wie etwa Wallfahrten oder Couleurausflüge beliebt. Ausflugsfahrten mit Donauschiffen in vertrauter Gesellschaft finden besonderen Anklang. Gastronomische Leckerbissen sowie Musik und Tanz sorgen für Unterhaltung. Dies erwartete sich ein Wiener tschechischer Touristenverein, dem vorgehalten wird sich nicht als Teilverein des sozialdemokratischen Touristenvereins 'Naturfreunde' zu bezeichnen, sondern als 'Jednota ceskych turistu' aufzutreten. Es sollte aber anders kommen. Das Deutsche Volksblatt warnt vor dem zu drohenden 'Tschecheneinbruch in die Wachau'1) und setzt entsprechende Abwehrmaßnahmen. Es wird ferner ein Aufruf des 'Deutschen Volksrates für Wien und Niederösterreich' veröffentlicht: 'Wie bereits bekannt, erfolgt Sonntag den 15. D. M. ein Tschecheneinbruch in die Wachau und es soll die Landung in Melk von Seite unserer eroberungssüchtigen Feinde zeitlich vormittags stattfinden.'1) Entlang der Strecke dieser feindlichen Fahrt wurden am Samstag Protestversammlungen abgehalten. Am Sonntag, dem Tag der Landung des Ausflugschiffes, planten die Verteidiger des Deutschen Volkstums in Melk eine Großdemonstration unter der Führung des Landtagsabgeordneten Pittner. Der Einzug der Deutschen in Melk sollte mittels Vorantragung ihren schwarz-gelben und schwarz-rot-goldenen Farben gestaltet werden. Die Fahnengruppen und die Stadtkapelle werden bei der Landungsstelle Aufstellung nehmen und bei Ankunft des Schiffes patriotische Weisen, wie 'O du mein Österreich' intonieren. Für diese Abwehrmaßnahmen ist folgender Aufruf zu lesen: 'Bundesmitglieder! Deutsche Wiener! Wachauer! Auf zur Verteidigung Eurer Heimat. Eurer Muttersprache! Beweist den Tschechen, daß in Wien und Niederösterreich kein Boden ist für die frechen Herausforderungen und Eroberungsgelüste der Tschechen!'1) Für die Anreise der Protestteilnehmer wurden Sonderzüge aus Wien und St. Pölten organisiert. Bereits Samstag in der Nacht sammelten sich Mitglieder zahlreicher Radfahrvereine des Kremser, St. Pöltner und Melker Bezirkes in Herzogenburg. Die Radfahrer sollten ab Zwentendorf das Tschechenschiff bis Melk eskortieren, um etwaige Landgänge der Tschechen zu unterbinden. Soweit die Maßnahmen, 'um die deutsche Wachau gegenüber den tschechischen Eroberungsgelüsten zu schützen.'1) Die Arbeiterzeitung, das Organ der Sozialdemokratie, bezeichnet die nationalistische Hetze als eine chauvinistische Überspannung, als Narrheit und als Streberei. Die 'einfallenden nationalen Gegner'2) wären bloß Touristen, die am kommenden Sonntag die Naturschönheiten der Wachau genießen wollen. Es handle sich keinesfalls um eine nationale Organisation, denn die Ausflügler gehören meist der Sozialdemokratie an: 'Es sind Arbeiter, die lange Groschen auf Groschen gelegt haben, um sich und ihren Familien das bescheidene und harmlose Vergnügen einer Donaufahrt zu verschaffen.'2) Aufgrund der in Wien stattfindenden Protestversammlungen und nationalen Demonstrationen wurden Ausschreitungen befürchtet. Bereits bei der Einschiffung der tschechischen Ausflügler, heute würde man von boarding sprechen, kam es zu schweren Tumulten; deutschnationale Demonstranten sprechen von nationaler Begeisterung. Es wurden nationale Lieder ('Die Wacht am Rhein', 'Deutschland, Deutschland über alles', 'Der Gott der Eisen wachsen ließ' usw.) intoniert. Die verängstigten tschechischen Ausflügler schlichen sich, geschützt durch einen Polizeikordon, durch den fahnenschwenkenden aufgebrachten Pöbel. Nach der Abfahrt des Schiffes zogen die Demonstranten in Achterreihen unter Absingen nationaler Lieder in Richtung Prater. Dieser Marsch wurde durch eine Attacke berittener Polizei, die sieben Verletzte forderte, gestört. Abschließend kehrte man beim 'Walfisch' ein, wo etliche Reden gehalten wurden. Gegen 7 Uhr wurde in Melk der Dampfer 'Franz Joseph' gesichtet. Ein eifriger Bediensteter der Donau-Dampfschifffahrts-Gesellschaft sperrte die Landungsbrücke ab. Das Schiff passierte ziemlich vom Ufer entfernt die Landungsstelle. 'Es entstand ein ohrenbetäubender Lärm. Gellende Pfiffe und stürmische Pfuirufe ertönten und dazwischen riefen kräftige Stimmen: Nieder mit den Eindringlingen! Die Wachau muß deutsch bleiben! Bleibt daheim bei den Powidltöpfen.'3) Alle Vorkehrungen bezüglich einer Landung des Schiffes wurden dadurch obsolet, da das Schiff ohne zu landen den Landungsplatz passierte und später bei Isperdorf umkehrte. Mittlerweile fand in Melk eine Versammlung statt, bei der deutschnational gesinnte Politiker als Redner auftraten. Die Versammlung wurde durch die Passage des zurückfahrenden Schiffes unterbrochen. Die Demonstrationen wurden verstärkt wiederholt. Die Demonstrationen waren bei allen Stationen gleich. Das Ritual begann mit dem Absingen 'Der Wacht am Rhein'. Dann folgten stürmische Pfui- und Abzugsrufe sowie ein schrilles Pfeifkonzert. Während der Fahrt wurde das Schiff von protestierenden Radfahrern begleitet. Im Bereich Greifenstein wurde das Ausflugsschiff zusätzlich von mehreren Ruderklubs begleitet, die ihre Boote mit schwarz-rot-goldenen Abzeichen verziert hatten. Bei der Reichsbrücke erlebten die Manifestanten eine herbe Enttäuschung, da die tschechischen Touristen die 'Franz Joseph' bereits in Nußdorf velassen hatten. Die enttäuschten Deutschnationalen zogen unter Absingen nationaler Lieder ab. Aus diesen Vorkommissen lassen sich nationale Konflikte und Unstimmigkeiten erkennen, die für den Bestand der Monarchie fatale Folgen erwarten lassen. Wie tiefgehend der deutschböhmische Konflikt war, und er war nicht der einzige, wird aus Reden bei der Melker Versammlung evident: 'RAbg. Wolf führte aus, daß die deutschböhmische Frage nunmehr in ihrem vollen Ernst erkannt werde als eine Machtfrage, für die Stellung der Deutschen in Oesterreich, ja in Europa. Dort entscheidet sich nicht allein das Schicksal der Deutschböhmen, sondern auch der Deutschen in Niederösterreich, auf welches Land sich die Tschechen stürzen werden, wenn sie mit den Deutschböhmen fertig geworden sind.'3) Die Szenen bei der Fahrt des Ausflugdampfers in die Wachau waren in Wien von weiteren Ausschreitungen begleitet. Die Deutschnationalen, die das leere Schiff mit Pfiffen und Pfuirufen empfangen hatten, zogen dann in Richtung Handelskai, wo ein tschechischer Verein ein Wiesenfest abhielt, um dieses durch Steinwürfe zu stören. Die Sicherheitswache musste einschreiten. Am selben Tag (Sonntag 17. August) 10 Uhr abends demonstrierten, die mit der Westbahn aus Melk angekommenen Deutschnationalen, gewaltsam gegen ein in Hernals stattfindendes Sokolfest. Auch hier musste die Sicherheitswache eingreifen. Zu dieser Zeit kam es in Tschechien zu Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Böhmen, welche, wie oben beschrieben, expandierten. Nationale Auseinandersetzungen vor Ausbruch des Weltkrieges waren bedenklich. Sie sind in der staatsrechtlichen Gestaltung der Monarchie festzumachen: Die Deutschen bevorzugten einen zentralistischen Einheitsstaat. Die Tschechen forderten ein 'Böhmisches Staatsrecht', in welchen den böhmischen Ländern (Böhmen, Mähren und Schlesien) eine den Ungarn entsprechende Stelle zukommen sollte. Wenige Jahre vor Beginn des Weltkrieges bedeutenden diese Spannungen nichts Gutes. Nach der Volkszählung von 1910 standen der deutschsprachigen Bevölkerung mit 23,36%, 44,78% Slawen gegenüber. 19,57% bekannten sich als Ungarn. Während des Weltkrieges, besonders nach dem Sieg des Deutschen Heeres bei Tannenberg (1914), wurde Krieg als 'Kampf des Germanentums gegen das Slawentum' propagiert. Für die Streitkräfte der Donaumonarchie ein schwer zu verkrafteter deutscher Mythos. Text: AH Jux
Bild: DDr.cer. Raffael
1) Deutsches Volksblatt 12. August 1909, 4. 2) Arbeiterzeitung 13. August 1909. 1. 3) (Neuigkeits) Welt Blatt 17. August 1909. 5. |
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