Nummer 10/2021 | ||
Narrenfreiheit
Am 11.11. wird nicht nur, aber vor allem im Burgenland, der heilige Martin gefeiert, wofür viele Gänse in den Tagen rund um das Fest ihr Leben lassen müssen, sondern um 11:11 Uhr dieses Tages beginnt traditionellerweise auch der Fasching. Heuer bekam die närrische Zeit aber leider wieder einen ziemlich bitteren Beigeschmack.
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Seit Mitte des Jahres 2021 habe ich gehofft, dass mit den breitflächigen Impfangeboten endlich wieder Ruhe einkehrt, weshalb ich mich mit dem viralen Thema in diesem Medium gar nicht mehr auseinandersetzen, sondern mich wieder verstärkt unseren couleurstudentischen Aktivitäten zuwenden wollte. Doch leider schaut die Realität völlig anders aus und wir müssen ihr ins Auge schauen. Ungefähr zum Faschingsbeginn schoss – wie von Experten schon länger befürchtet – besonders in Österreich und den benachbarten Kronländern die Zahl der Infektionen wieder durch die Decke und die vierte Corona-Welle war da. Angesichts der besorgniserregenden Entwicklung in den Spitälern appellierte der HBP in einer Rede an die Bundes- und Landesregierung(en), dass man rasche, gemeinsame und verfassungskonforme Entscheidungen benötigt, auch wenn es unpopulär erscheint. Doch genau daran scheitert es in unserem Land seit dem Beginn der Pandemie Anfang 2020. Das partei- und interessenspolitische Hick-Hack macht sinnvolle Lösungen in unserem Land scheinbar unmöglich.
An dieser Entwicklung waren die Massenmedien meines Erachtens nicht unbeteiligt, welche im Sinne der objektiven(?) Berichterstattung die Warnungen von diversen medizinischen Experten, Statistikern und Simulationsforschern gerne im Sinne der Meinungsfreiheit(?) mit ausführlichen Berichten über die Aktivitäten von Masken-Gegnern und Corona-Leugnern überlagerte. Nachdem endlich Gegenmittel zur Bekämpfung des Virus gefunden waren und in ausreichender Menge zur Verfügung standen ging das Verwirrspiel mit dringenden Impfempfehlungen versus Impfwarnungen aus suspekten Quellen los und führte dazu, dass in Österreich offenbar (ganz im Unterschied zu Süd-Ost-, aber auch zu Nordeuropa) eine sehr geringe Durchimpfungsrate erreicht wurde. Während z.B. sogar in Brasilien derzeit nur mehr relativ wenige Covid-Erkrankungen auftreten und man sich zu Recht auf den bevorstehenden Karneval in Rio freuen kann, ist bei uns der fünfte totale Lockdown – auch für mehrfach Geimpfte! - verhängt worden. Und dennoch geht der Streit um die Angemessenheit der angekündigten Maßnahmen munter weiter. Während sich die einen – trotz der bekanntermaßen verheerenden Auswirkungen für die Wirtschaft und damit für die Gesamtbevölkerung – mit dem Lockdown für alle durchgesetzt haben, weil die Einschränkung für Ungeimpfte mangels ausreichender Kontrolle keine Wirkung gezeigt hat, gingen die freiheitsliebenden bzw. freiheitlichen Narren wieder auf die Straße. Wer die geltenden Maßnahmen missachtet geht dabei nur ein geringes Strafrisiko ein, obwohl das ein hohes Gesundheitsrisiko für die Mitmenschen darstellt. Sie demonstrierten meist ohne FFP2-Masken, dafür teils mit Gewalt, gegen den Lockdown und die Maskenpflicht sowie gegen sonstige Sicherheitsvorkehrungen und das, obwohl der Anführer dieser Fraktion und seine Familie – trotz Entwurmungsmittel? – mittlerweile selbst erkrankt sind und damit ungewollt bewiesen haben, dass ein regelmäßiger PCR-Test eben keinen ausreichenden Schutz darstellt (recht geschieht ihm). Die Impfgegner berufen sich auf die (Narren?)-Freiheit selbst über ihre körperliche Unversehrtheit bestimmen zu können, aber riskieren damit nicht nur ihre eigene Gesundheit, sondern auch die von vielen anderen Menschen, die sich z.B. wegen ihres Alters, wegen Immunerkrankungen oder aus anderen Gründen selbst nicht durch eine Impfung schützen können. Dieses Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung wird jedoch nicht allen Menschen gleichermaßen zugestanden. Während derzeit bestehendes Bildungspersonal (noch) nicht zur Impfung gezwungen werden darf, ist eine Impfung für Neuanstellungen zumindest in Wien aber sehr wohl Pflicht! Die Krankenhausmitarbeiter beklagen sich berechtigterweise über ihre Überlastung durch unnötige Erkrankungen von Impfverweigerern und dennoch wehrt sich deren eigene Berufsvertretung gegen eine Impfpflicht für die in diesem Hochrisikobereich tätigen Mitarbeiter?! Wie verträgt sich das angeblich verfassungsrechtlich geschützte Recht auf körperliche Unversehrtheit mit Zwangsmaßnahmen für einzelne Berufsgruppen? Und wo bleibt der Aufruf der sonst so eifrigen Anwälte, eine Sammelklage gegen alle Menschen einzubringen, die durch ihr Verhalten andere Menschen gefährden und der Wirtschaft enormen Schaden zufügen? Zweifellos wäre die Impfpflicht für ALLE, die jetzt ab Anfang Februar angekündigt wurde, schon vor Monaten die beste Lösung gewesen. Denn offenbar ist ein relativ großer Teil unserer Mitbürger nicht mündig und verantwortungsbewusst genug, um eigenverantwortlich einen Beitrag zur Eindämmung der Pandemie zu leisten. Seit Monaten wurde das großflächige Impfangebot kaum angenommen und stattdessen die (leider gratis zur Verfügung stehenden) PCR-Tests genutzt, obwohl das Impfen dessen Sinnhaftigkeit von Regierung und Ländern mit viel Steuergeld beworben wurde. Erst durch die Einschränkung von 3G auf 2G lassen sich jetzt manche Impfskeptiker doch zum Erststich bewegen und kommen damit jenen verantwortungsbewussten Menschen in die Quere, die sich nun den dritten Stich zur Auffrischung der Abwehrkräfte holen wollen. Der neuerliche Lockdown ist meines Erachtens die schlechteste aller denkmöglichen Lösungen. Warum dürfen Geimpfte mit FFP2-Masken nicht in Baumärkten, Möbelhäusern oder Einkaufszentren – wo überall relativ viel Fläche je Kunde zur Verfügung steht – einkaufen, müssen sich aber anderseits in überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln, in den engen Gängen des Lebensmittelhandels und in anderen Geschäften des sogenannten täglichen Bedarfs, wie z.B. winzigen Trafiken, in Gefahr begeben, weil dort auch Ungeimpfte hineindürfen, die teilweise bewusst nicht einmal die Masken korrekt tragen? Und wie sollen die Familien durch den Lockdown geschützt werden, wenn andererseits die Kindergärten und Schulen weiter offen stehen, wo derzeit in Ermangelung einer Impfmöglichkeit für Kinder ein besonders hohes Ansteckungsrisiko besteht? Weit besser wäre es gewesen überall die 2G-Regel zu verhängen und deren lückenlose Kontrolle dadurch zu gewähren, dass Förderungen für Umsatzausfälle ausschließlich an jene Unternehmen ausbezahlt werden, welche nachweisen können, dass sie diese auch wirklich durchführen. Ausreichend Personal dafür müsste ja verfügbar sein, wenn man sich die Statistik der in geförderter Kurzarbeit befindlichen Dienstnehmer und der Arbeitslosen anschaut. Und alle Ungeimpften sollten bis zur Wirkung des zweiten Stichs ohne Entschädigung in den Hausarrest geschickt und nur für den Gang zur Impfung Ausgang erhalten, da sie die zahlreichen anderen Motivierungsmaßnahmen offenbar nicht verstanden haben. Außerdem finde ich es billig, wenn die Opposition und die Medien jetzt das Versagen der Maßnahmen nicht den Corona-Leugnern und Impfkritikern, sondern der Regierung in die Schuhe schiebt. Die politische Rechnung wird wohl dennoch bei der nächsten Wahl – die vermutlich rascher erforderlich wird, als uns allen lieb ist – vor allen von den Türkisen zu bezahlen sein, die ihr Versprechen, dass es für Geimpfte keine Totalschließung mehr geben soll, gebrochen haben. Derzeit bleibt zu hoffen, dass der neuerliche Lockdown für die Vernünftigen wirklich spätestens am 13. Dezember zu Ende geht, und dass Anfang des neuen Jahres das Narrenzepter wieder nur den richtigen Faschingsnarren vorbehalten bleibt. Text und Bild: DDr.cer. Raffael
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