Nummer 8/2021
Vox populi vox Dei

Ende September hat das Volk in mehreren deutschsprachigen Regionen seine Stimme abgegeben und für teils überraschende Wahlergebnisse gesorgt. Doch sind diese Entscheidungen wirklich auch Gottes Stimme, wie es die Redewendung nahelegt?

In Oberösterreich hat die Corona-Pandemie für merkwürdige Auswirkungen gesorgt. Dort hat die bis dato völlig unbekannte MFG aus dem Stand mehr als 6% der Stimmen errungen. Die Abkürzung des Parteinamens steht nicht für – wie es auf den ersten Blick scheint – 'Mit freundlichen Grüßen', sondern für 'Menschen Freiheit Grundrechte', also für Begriffe, die ohnedies in der österreichischen Verfassung verankert sind und daher auch von allen politischen Parteien beachtet werden müssen. In Wahrheit handelt es sich um eine erst Anfang 2021 zur Zeit der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Verordnung gegründete Partei von Impfgegnern, deren Programm (z.B. sofortige Einstellung des Lockdown, Öffnung von Kindergärten und Schulen u.dgl.) zum Teil längst überholt ist. Daneben verfolgen sie vereinfacht gesagt die gleichen populistischen Ziele wie alle anderen links- und rechtsextremen Gruppen. Die eigentliche Überraschung war daher, dass es diesen Neulingen gelungen ist so viele Stimmen – nicht nur aus den blauen Gewässern – zu fischen, was eventuell noch durch deren Bundespolitik(er) zu erklären gewesen wäre. Da ist mir die Wiener Bierpartei – nicht nur wegen des Getränks – wesentlich sympathischer, da deren Vorsitzender, der Arzt und Musiker ist, vor seinem Punk-Rock-Konzert seine Fans persönlich geimpft hat.
Erschreckend ist für mich generell die Tatsache, dass zunehmend immer mehr Menschen – ob aus Frust über die traditionellen Parteien oder aus Jux und Naivität sei dahingestellt – Kleinparteien wählen, die selbst letztendlich kaum etwas mitzureden haben, aber die Basis für eine stabile Regierung schwächen. Oft reicht – wie jetzt in Deutschland – eine Koalition von zwei Parteien gar nicht mehr für eine Mehrheit aus. Aber je mehr Interessen unter einen Hut zu bringen sind, umso schwieriger wird eine dauerhafte Zusammenarbeit zum Wohle der Bevölkerung.
Fragwürdig erscheint mir auch, wieso das Thema 'Gesundheit' im grundsätzlich gut versorgten Europa überhaupt zu einem politischen Programm werden kann. Beim Thema der Corona-Impfung geht es um eine Abwägung von Einzelinteressen (Welches Risiko bzw. welchen Nutzen bringt die Schutzimpfung für mich?) gegenüber dem Gemeinwohl (Wie kann man die Entscheidungsfreiheit des einzelnen wahren, ohne die Gemeinschaft zu gefährden?) Ich respektiere, das manche Bürger trotz der mittlerweile sehr umfangreichen Erfahrungen und der eindeutigen Empfehlungen von politisch unverdächtigen Medizinern und Wissenschaftlern noch immer skeptisch sind, wenn diese bereit sind durch andere Maßnahmen (z.B. testen auf eigene Kosten und Masken tragen, wo Geimpfte keine benötigen) zum Schutz ihrer Mitmenschen beizutragen. Ich verstehe aber nicht, dass es laut Meinung mancher Experten und Politiker für Impfunwillige Belohnungen als Motivation statt Sanktionen geben soll, wenn in allen anderen Bereichen die Einhaltung der Gesetze auch unter Androhung von Strafen überwacht wird. Oder kann sich jemand folgende Szenarien vorstellen:
  • Beim Ausgang von Warenhäusern werden Diebe laufen gelassen, dafür erhalten ehrliche Kunden von den Detektiven kleine Geschenke.
  • In den Öffis werden die Schwarzfahrer nicht mehr bestraft, sondern Gratisfahrscheine an Benutzer mit gültigem Ticket verteilt.
  • Die Finanzprüfer erteilen Gutschriften an Steuerpflichtige die ein korrektes Rechnungswesen vorweisen können.
  • Die Polizei lässt Raser unbehelligt und hält stichprobenartig nur mehr Fahrer an, welche sich an die Geschwindigkeitsbeschränkungen halten, um ihnen – sofern sie auch nicht zu viel getrunken haben – eine Belohnung zu überreichen.

Die obigen Beispiele sind wohl genauso utopisch wie Flüsse in denen Milch, Honig oder Wein fließen und Straßen auf bzw. über denen gebratene Tiere laufen oder fliegen, wie das im Schlaraffenland laut dem gleichnamigen Märchen der Fall ist. Das mittelhochdeutsche Wort 'sluraff' bedeutet übrigens Faulenzer und in diesem Sinne sind wir von den märchenhaften Zuständen gar nicht so weit entfernt wie es scheint. Während es die Aufgabe eines auf christlichen Grundwerten basierenden Sozialstaates ist für alte, kranke oder aus sonstigen Gründen unschuldig in Not geratene Mitbürger zu sorgen und diese zu unterstützen, fordern insbesondere linkslastige Parteien immer häufiger und lauter ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle und ein Recht auf billigen (möglichst fast gratis zur Verfügung gestellten) Wohnraum, also auch Unterstützungen für arbeitsfähige, aber arbeitsunwillige Faulenzer und jene fleißigen Menschen, die ihre staatlichen Beihilfen gerne mit unversichertem und unversteuertem Pfusch aufbessern, was bei uns vielfach noch immer als Kavaliersdelikt angesehen wird.
Es ist den kommunistischen Politikern in Graz hoch anzurechnen, wenn es stimmt, dass sie den Großteil ihrer Bezüge für Bedürftige spenden und damit die hohen Sympathiewerte errungen haben. Aber diese Einstellung entspricht eher dem Ideal eines himmlischen Kommunismus oder eines christlichen Sozialismus, als den weltweiten historischen Erfahrungen mit dem realen Kommunismus, bei dem die zuvor herrschenden Schichten entmachtet und enteignet wurden, aber danach die Einkommens- und Vermögensschere zwischen den parteitreuen Bonzen und der Normalbevölkerung weit größer ist, als in kapitalistischen Systemen.
Ich erlaube mir daran zu zweifeln, dass die Stimme des Volkes – egal bei welcher Wahl – als Gottes Stimme angesehen werden kann, denn an den glaubt die Mehrheit des Wählervolkes ohnedies kaum mehr.
Text: DDr.cer. Raffael
Kontakt für allfällige Rückmeldungen:
blech-bote@aon.at

zuletzt geändert: 03.10.2021 um 23.02 Uhr