Nummer 8/2021 |
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In Graz gehen die Uhren anders
Es ist eine bekannte Tatsache, dass am Grazer Uhrturm die Stunden- und Minutenzeiger aus historischen Gründen scheinbar vertauscht sind, weil es früher wichtig war, die Stunden auch aus größerer Entfernung ablesen zu können. Für einige Überlegungen zu den 'politischen Uhren' der Stadt konnten wir erfreulicherweise mit dem Vater von Bb Täubchen einen Kartell- bzw. Bundesbruder gewinnen, der als Universitätsprofessor für Österreichische Zeitgeschichte besonders kompetent ist.
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Wie aus dem schwarzen ein dunkelrotes Graz wurde In der Stadt Graz dominierte seit dem späten 19. Jahrhundert das liberale Bürgertum und ab 1919 eine sehr theorieferne Sozialdemokratie, deren Wählerschaften eindeutig das liberale Erbe des Antiklerikalismus verband. Sieht man vom autoritären Zwischenspiel 1934 bis 1938 und von der Zeit der 'Bürgerblockkoalition' in der Ära Kreisky ab, in der es im Zusammenspiel mit der FPÖ unter Alexander Götz zu einem kurzen Aufzeigen der ÖVP kam, dominierte die SPÖ bis zum Abgang von Alfred Stingl die Stadtpolitik. Von der weitgehenden Paralyse der SPÖ seit den 1990er Jahren profitierte die KPÖ mit einer linkspopulistischen, aber durchaus glaubwürdigen Sozialpolitik und die ÖVP unter Siegfried Nagl, der aus einer Initiative der Innenstadtkaufleute heraus den Sprung in die Stadtpolitik schaffte. Während die Sozialdemokratie, verfangen in Flügelkämpfen, die öffentliche Wahrnehmungsgrenze unterschritt, formierten sich neben der KPÖ die ÖVP, die Grünen und die FPÖ als relativ konstante Machtfaktoren, die bei den Gemeinderatswahlen abgekoppelt von Landtags- und Nationalratswahlen, von einer zunehmend mobilen Wählerschaft in die Pflicht genommen wurden. Die Volkspartei stieg mit einem äußerst knappen Vorsprung zur stimmenstärksten Partei auf und stellte durch 18 Jahre mit Nagl den Bürgermeister, der in rascher Reihenfolge seine Koalitionspartner in der Stadtregierung demontierte, um so den Machtanspruch der VP auszubauen, der weitaus dominanter als der eigentliche Stimmanteil bei den Wahlen war. Dies ließ Nagl und/oder sein Umfeld auch an die Ablöse von Hermann Schützenhöfer denken, nachdem dieser die Landespartei nach dem Desaster unter Waltraut Klasnic übernahm. Nagls letzter Koalitionspartner, der Burschenschafter Mario Eustaccio, der nicht nur das Grazer Bürgertum anhaltend verprellte, strapazierte die Stadt schließlich mit einem Wahlkampfstil, dessen Vulgarität kaum zu überbieten war. Unübersehbar war, dass der Aufstieg der KPÖ sehr rasch auch in dominant bürgerlichen Bezirken Protestwähler anziehen konnte, und etwa die FPÖ im Geidorf oder in St. Leonhard vom traditionellen zweiten Platz verdrängte, die ihrerseits in klassischen Arbeiterbezirken aufholen konnte. Dies wurde weitgehend in der Grazer ÖVP ignoriert, man deckte diese Wählermobilität zuletzt mit dem Wahlerfolg 2017 zu, in der bei knappsten Mehrheiten nahezu alle Bezirke eine schwarze/türkise Mehrheit auswiesen. Defizite in der Sozialpolitik, Kindergartenplätze kosten in Graz ein vielfaches als etwa in Wien, fehlender leistbarer Wohnraum, als hypertroph angesehene Zukunftspläne (Seilbahnprojekte, Tiefgaragen, U-Bahn Projekt, Olympische Spiele) und vertane Chancen bei Infrastrukturmaßnahmen (Kaiser-Josef-Platz) in Verbindung mit einer Verkehrsplanung, die traditionelle bürgerliche Viertel benachteiligte, fielen letztlich dem Langzeitbürgermeister auf den Kopf, der sich noch kurz vor den Wahlen vom Landesparteiobmann via Interview ausrichten lassen musste, dass eine Erhebung des Leerbestands an Grazer Wohnungen und dessen Besteuerung durchaus sinnvoll wäre, während der Bürgermeister in einem auffallenden und anhaltenden Nahverhältnis die Immobilienbranche stärkte. Letztlich zeigen die angesprochenen Projekte auch, dass es nur um Schlagzeilen ging, deren Umsetzung schon ob der unumgänglichen Mitfinanzierung durch Bund und Land, die vorab auch nicht informiert worden waren, scheitern musste. Getragen wurde Nagl zunehmend vom anachronistischen Selbstverständnis als Stadtvater, dessen Wahlwerbung seine Person zum Synonym für die Stadt postulierte. Angesichts der eklatanten persönlichen Wahlniederlage ließ er die Bewohner wissen, dass er nunmehr, Strafe muss sein, seine schützende und seine helfende Hand von der Stadt zurückziehe. Ähnlich wie 2017, als die VP die Stadt und ihre Bezirke 'schwarz' färbte, wurden diese mit durchaus knappen Vorsprüngen nun 'dunkelrot'. Darin liegt auch die Chance seines Nachfolgers Kurt Hohensinner, der nun jene, die aus Ärger über die konkrete Machtausübung unter Nagl nicht mehr die Grazer VP gewählt haben, anzusprechen hat, um sie zurückzuholen. Das wird Zeit und Charisma brauchen. Hohensinner ist es aber durchaus zuzutrauen, den gewünschten Erfolg zu haben. Die normative Kraft des Faktischen (Budgetnöte, dringend anstehende Infrastrukturmaßnahmen etc.) lässt der kommenden Stadtregierung wenig Spielraum für Experimente. Text: Dieter A. Binder, Mx! ASG!
Bild: DDr.cer. Raffael |
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