Nummer 2/2021 |
||
Vierzig Tage
Seit etwa einem Jahr begegnet uns eine fremdsprachige Bezeichnung für die Dauer der Fastenzeit weit häufiger als zuvor. Wir machen uns auf eine
historische Spurensuche nach deren Ursprung. |
||
Die Zahl 40 kommt in der Einheitsübersetzung der Bibel laut meiner Konkordanz exakt 100-mal vor. Das beginnt bei Noah '…dann lasse ich es vierzig Tage
und vierzig Nächte lang auf die Erde regnen…' (Gen 7,4 – 8,6), setzt sich bei Moses und den zehn Geboten fort '…Vierzig Tage und vierzig Nächte blieb Mose auf dem Berg…'
(Ex 24,18 – 34,28) und findet sich auch bei der Suche nach dem gelobten Lande '…So viele Tage, wie ihr gebraucht habt, um das Land zu erkunden, nämlich vierzig Tage, so viele
Jahre lang - für jeden Tag ein Jahr - müsst ihr die Folgen eurer Schuld tragen…' (Num 13,25 – 14,34). Die symbolische Zahl 40 findet sich auch in anderen Zusammenhang in vielen
Büchern des Alten Testaments. So heirateten Isak und Esau mit 40 Jahren und David, Salomo sowie andere Könige von Israel regierten jeweils 40 Jahre, um nur einige der zahlreichen
Beispiele zu nennen. Auch im Neuen Testament begegnen wir der Zahl 40 an verschiedenen Stellen. Die bekannteste davon ist wohl die Versuchung Jesu in der Wüste '…Die ganze Zeit über aß er nichts; als aber die vierzig Tage vorüber waren, hatte er Hunger…' (Lk 4,1-2), auf welche die vierzigtägige Fastenzeit vor Ostern zurückzuführen ist. Von Seiten der katholischen Kirche wurde in den letzten Jahrzehnten immer wieder betont, dass Fasten in der Gegenwart nicht primär eine Einschränkung der Ernährung – insbesondere der Fleischspeisen – bedeutet, sondern dass die vorösterliche Vorbereitungszeit in mannigfaltiger Form genutzt werden kann, um sich durch den bewussten Verzicht auf alte Gewohnheiten oder auf Genussmittel (z.B. rauchen oder Alkohol trinken) ein wenig zu besinnen und auf die Feier der Auferstehung Jesu vorzubereiten. Ich schätze, dass dieser Verzicht aber gerade heuer vielen besonders schwer fällt. Normalerweise geht ja der Fastenzeit die Fastnacht – bei uns üblicherweise Fasching genannt – voraus, eine Zeit in der meist ausgelassen gefeiert und oft auch viel getrunken wird. Durch den Lockdown sind aber nicht nur alle Bälle und Faschingspartys ausgefallen, sondern es war seit Monaten kaum mehr möglich Freunde zu treffen oder gemütlich Essen zu gehen. Gegessen wurde dem Vernehmen nach zu Hause aus Frust zwar oft noch mehr und auch der stille Suff ist – im Gegensatz zu den sozialen Kontakten – sicher nicht zu kurz gekommen, weshalb ein echtes Fasten vermutlich niemanden schaden würde. Und falls es wieder erwarten noch im März zu Lockerungen für die Gastronomie und für Vereinsveranstaltungen kommen sollte, wird es nach der langen Zeit der unfreiwilligen Entbehrungen wohl nur wenige geben, die auf die Annehmlichkeiten des Lebens noch bis nach Ostern warten wollen. Verschiedenen Berichten zufolge, soll gerade die junge Generation, die vor der Coronakrise keinerlei Not und Verzicht kennengelernt hat, unter der Situation besonders leiden und psychologische Betreuung brauchen. Dabei leben wir in Österreich, im Unterschied zu vielen anderen Teilen der Welt, Gott sei Dank seit 75 Jahren in Frieden und Wohlstand. Unsere ((Ur-)Groß-)Eltern mussten ein oder sogar zwei Weltkriege überstehen und auch deren Vorfahren blieben nur selten von kämpferischen Auseinandersetzungen verschont. Auch in den Friedenszeiten hatten die Menschen früher nicht immer genug zu essen, da die Erträge der Landwirtschaft noch wesentlich geringer waren und Missernten infolge von Unwettern oft einen Teil davon vernichteten. Zusätzlich wurde die Bevölkerung in fast allen Epochen von irgendwelchen Seuchen geplagt. Jahrhundertelang verursachte die Schwarze Pest wiederkehrende Epidemien. Unsere Vorfahren waren auch der Cholera, den Pocken und anderen Krankheiten schutzlos ausgeliefert, bis Erzherzogin Maria Theresia sich vielen Bedenken zum Trotz für die Einführung der Pockenimpfung einsetzte. Vergleicht man die Probleme der Vergangenheit mit dem heutigen Wohlstand sowie der medizinischen sowie sozialen Vollversorgung in Europa, muss man sich fragen, wie es die Menschheit überhaupt geschafft hat bis in 21. Jahrhundert zu überleben, wenn manche schon mit den Beschränkungen der Freizeitgestaltung infolge der gegenwärtigen Pandemie nicht mehr alleine fertig werden. Natürlich bin auch ich nicht glücklich darüber, dass Urlaubsreisen im Moment so gut wie nicht möglich und für die nahe Zukunft kaum planbar sind. Aber insbesondere die Einschränkung bei Fernreisen erscheint mir sinnvoll, um eine weitere weltweite Verschleppung des Virus und seiner ständig neuen gefährlicheren Varianten einzudämmen. Ob jene Hoteliers aus Tirol, welche die Sperre ihrer Häuser (und womöglich sogar die staatliche Förderung für den Umsatzentgang?) für einen Golfurlaub in Südafrika genutzt haben, wirklich dafür verantwortlich sind, dass eine gefährliche Mutation des Coronavirus gerade in ihrer Heimat gehäuft vorkommt, ist fraglich. Die Optik ist jedenfalls denkbar schlecht. Es ist schon sehr lange bekannt, dass Reisende Seuchen als unfreiwilliges Souvenir mit nach Hause bringen können. Daher wurde in mittelalterlichen Hafenstädten wie Dubrovnik (das damals noch Ragusa hieß) oder Venedig den Kaufleuten und der Schiffsbesatzung erst nach einer längeren Wartezeit gestattet die Stadt zu betreten, um deren Bewohner vor ansteckenden Krankheiten wie der Pest zu schützen. Ob die übliche Dauer der Isolation auf biblische Wurzeln oder auf die Lehren des antiken griechischen Arztes Hippokrates zurückzuführen ist, ist ungewiss. Sicher ist hingegen, dass das Wort 'Quarantäne' auf die italienische Bezeichnung der Zahl 40 ('quaranta') bzw. den französischen Begriff 'quarantaine de jours' für 40 Tage zurückgeht. Mittlerweile haben nicht nur an COVID-19 erkrankte Menschen und deren Kontaktpersonen, sondern auch alle anderen, die sich wirklich an die von der Regierung verhängten Besuchs- und Ausgangssperren gehalten haben, mehr als eine Quarantäne hinter sich und dürfen sich auf deren Ende freuen, selbst wenn dieses – wie ich zu hoffen, aber nicht zu glauben wage – noch in die vierzigtägige Fastenzeit fallen sollte. Text: DDr.cer. Raffael
|
||
Kontakt für allfällige Rückmeldungen: blech-bote@aon.at |