Nummer 10/2020
Wiener G‘schichten

In fast jeder Zeitung findet man einen Lokalteil, in dem über die Geschehnisse der jeweiligen Region berichtet wird. Auch wir haben schon öfter auf Ereignisse in Wien Bezug genommen und wollen diesem Thema daher eine eigene Rubrik widmen.
Wiener Wirtshauskultur
Das Corona-Virus macht der Gastronomie schwer zu schaffen. Schon bei der ersten Ausgangssperre wurden nicht nur unsere Buden geschlossen, sondern auch die Lokale mussten von Mitte März bis Mitte Mai ganze zwei Monate zusperren und durften Essen höchstens zur Abholung über die Straße verkaufen. Und danach ist der Umsatz durch den dramatischen Einbruch des Städtetourismus besonders in innerstädtischen Betrieben stark geschrumpft. Daran konnte auch der Gastro-Gutschein des Wiener Bürgermeisters nichts viel ändern, der als teures Vorwahl-Zuckerl an alle Bürger der Stadt verteilt wurde. Wer in der Zwischen-Lockdown-Zeit die Möglichkeit zum Essengehen nutzte, fand in der Regel viel leichter einen freien Platz, als das vor der Krise der Fall war. Ich habe das selbst des Öfteren ausprobiert und dabei interessante Feststellungen gemacht:
Es war erstaunlich, wie locker in nicht wenigen Wirtshäusern mit den empfohlenen und teilweise auch angeordneten Vorsichtsmaßnahmen umgegangen wurde. Die Mund-Nasen-Schutzmasken, die zweifellos eine unangenehme Belastung für den Träger darstellen, sind nicht selten nach unten 'verrutscht' und wurden manchmal auch ganz 'vergessen'. Andere Kellner und –innen verwendeten die komfortableren Plexiglas-Visiere, die nach unten offen sind, wodurch Tröpfchen und Aerosole beim Ausatmen oder Sprechen ungehindert ihren Weg zu den servierten Speisen und den tiefer sitzenden Gästen finden konnten. Und die ab Ende September vorgeschriebene Registrierung in Gästelisten wurde meiner Erfahrung nach auch nicht überall vorgenommen, geschweige denn kontrolliert, ob die angegebenen Daten zumindest plausibel sind. Daher fragte ich mich, als ich wie viele andere Wiener die letzten Tage vor der angekündigten neuerlichen Sperre der Gaststätten nutzt, um noch schnell ein vorverlegtes Martini-Gansl oder anderes zu verzehren, ob nicht doch jene Wirte und ihr Personal, welche die Vorschriften auf die leichte Schulter nahmen, selbst Mitschuld an der Verbreitung des Virus und der dadurch verursachten, erneuten Ausgangssperre haben?

Anschläge in Wien
Nach einer Attacke von etwa 50 türkischen Jugendlichen in der Antonskirche in Favoriten und islamistischen Parolen in der Stephanskirche kam es am Allerseelentag zu einem brutalen Terroranschlag von einem Anhänger der radikalislamistischen Terrormiliz Islamischer Staat (IS), bei dem 23 Personen teilweise schwer verletzt und vier Menschen getötet wurden. Das besonders tragische an diesem Vorfall ist, dass der Täter, der wegen seiner Gesinnung schon vorher aufgefallen ist und zu 22 Monaten Haft verurteilt wurde, wegen vermeintlicher Deradikalisierung vorzeitig aus der Haft entlassen wurde und sich trotz Beobachtung durch die Behörden unbehelligt Waffen und Munition besorgen konnte. Diese Vorkommnisse haben auch in unserer WhatsApp-Gruppe für einige Aufregung gesorgt. Unsere Anteilnahme gilt den Hinterbliebenen der Opfer.
Bedenklich erscheint mir aber, dass sich nach dieser Greueltat auch die Vertreter jener Parteien, die sich immer gegen die Abschiebung von kriminellen Ausländern ausgesprochen haben oder gar für die Entwaffnung der Wiener Polizei eingetreten sind, plötzlich an ihre früheren Äußerungen zu diesen Themen nicht mehr erinnern konnten und jetzt das genaue Gegenteil fordern. Da eine gewisse Form von Alzheimer offenbar zum Berufsbild mancher Politiker gehört, bringen wir den davon Betroffenen einen Bedauerungsschluck.

Leopoldi-Tag
Eigentlich ist der 15. November ja der Wiener Landesfeiertag, der dem Babenberger Markgrafen Leopold III. gewidmet ist, der im Jahr 1485 auf Betreiben der Habsburger heiliggesprochen wurde, damit auch Österreich so wie Böhmen (Wenzel) und Ungarn (Stephan I.) einen Adeligen als Landespatron vorweisen konnte. Aber heuer war wohl nur wenigen zum Feiern zumute. Abgesehen davon, dass die Gaststätten ohnedies schon seit kurz nach Monatsbeginn geschlossen hatten und die Schrecken der Terrornacht von vielen noch nicht vergessen waren, musste natürlich auch auf das Fasslrutschen im Stift Klosterneuburg und auf andere Feiern verzichtet werden. Und die am Tag davor erfolgte Ankündigung der neuerlichen kompletten Ausgangssperre, versetzte der Stimmung ebenfalls einen Dämpfer. Nur im Wiener Rathaus herrschte vermutlich Feierstimmung, denn die SPÖ hat sich an diesem Tag mit den NEOs auf eine Koalition geeinigt, wie am darauffolgenden Montag bekanntgegeben wurde. Aber das ist eine andere Geschichte.

Punschkrapferl
Die traditionellen österreichischen Punschkrapferl waren früher eine echte Abfallvermeidung oder eine Form von Upcycling wie man heute sagen würde. Die Restln, die bei der Kuchenerzeugung angefallen sind und übriggebliebene Waren wurden zerbröselt und mit einem kräftigen Schuss Inländerrum vermischt, um den altbackenen Geschmack zu übertönen. Diese Masse wurde dann dick zwischen zwei dünnen Schichten Biskuit verteilt, in Würfel geschnitten und mit einer rosa Zuckerglasur überzogen. Also eigentlich eine besoffene G'schicht' mit süßem Überguss.
Laut Wikipedia wurde das Wort 'Punschkrapferl' seit den 1970er Jahren auch – vorwiegend in Kärnten – für Menschen mit brauner Vergangenheit bzw. Gesinnung verwendet, die später vom nationalen zum internationalen Sozialismus, also der sogenannten Sozialdemokratie, umgeschwenkt haben. In ähnlicher Bedeutung soll der Begriff auch in der österreichischen Gegenwartsliteratur zu finden sein. In Wien wurde er nun um eine weitere Facette bereichert. Wie vermutet, haben sich die Roten den schwächsten Koalitionspartner ausgesucht und sich damit ein pinkes Mäntelchen umgehängt, weshalb von den Medien der Begriff der Punschkrapferl-Koalition geprägt wurde, zumal der Bürgermeister den Verhandlern diese Süßspeise eigenhändig servierte. Für mich etwas überraschend war allerdings, dass der von den Grünen begründete Trend zum Ausbau der Radwege nicht nur fortgesetzt wird, sondern das dafür vorgesehene Budget gleich vervierfacht werden soll. Es scheint, dass die Wiener Verkehrspolitik mit dieser neuen Koalition vom Regen in die Traufe kommt.
Text: DDr.cer. Raffael

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zuletzt geändert: 05.12.2020 um 22.02 Uhr