Nummer 08/2020
IN-Toleranz ist IN

In unserer Gesellschaft wird oft mehr Toleranz für Menschen mit anderen Ansichten oder Lebensweisen gefordert. Gleichzeitig nimmt scheinbar auch die Intoleranz ständig zu.
Egal wo man hinschaut, ständig wird man damit konfrontiert, dass Menschen andere Menschen mit unterschiedlicher Hautfarbe, Herkunft, Religion oder einfach anderen Lebensgewohnheiten, wie zum Beispiel einer anderen sexuellen Orientierung, diskriminieren. Mittels der modernen Telekommunikation ist es leicht die Massen zu mobilisieren, um Shitstorms im Internet oder Demonstrationen auf den Straßen zu organisieren. Um keine Missverständnisse aufkommen zulassen: Natürlich bin ich für Meinungsfreiheit, ich mache ja selbst auch ständig davon Gebrauch, aber die Freiheit des Einzelnen darf nicht in Hass gegenüber anderen ausarten und sie endet dort, wo die Rechte und Empfindungen anderer verletzt werden.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Entwicklung des Verhaltens in fremden Ländern (auch wenn Fernreisen heuer virusbedingt großteils nicht möglich waren). Früher war es selbstverständlich, dass man sich als Gast an die Regeln und Gewohnheiten der Gastgeber angepasst hat. Es ist zwar vermutlich eher selten vorgekommen, dass man aus Höflichkeit die angebotenen Hammelaugen verzehren musste, wie es in manchen Romanen bzw. Filmen vorkommt, aber man hat doch z.B. bezüglich Be- bzw. Entkleidung in sakralen Sehenswürdigkeiten oder an Badestränden in der Regel auf die lokalen Gewohnheiten Rücksicht genommen. Und auch heute ist man insbesondere in autoritär regierten islamischen Staaten gut beraten darauf zu achten, wenn man nicht strenge Strafen riskieren will. Umgekehrt wird aber von uns erwartetet, dass wir bei uns die Sitten und Gebräuche von Urlaubsgästen und Migranten tolerieren, selbst wenn diese unser eigenes ethischen Empfinden verletzen. Unter diesen Umständen darf man sich nicht wundern, wenn sich die Sympathien dafür in Grenzen halten oder gar ins Gegenteil umschlagen.
Muslime werden bei uns nicht genötigt Schweinsbraten zu essen, aber sie müssen akzeptieren, dass mitunter der Duft von gegrilltem Schweinefleisch in der Luft liegt, weil ihre Nachbarn essen wollen was ihnen schmeckt. Schließlich habe ich auch noch nie gehört, dass sich ein andersgläubiger Arbeiter in seinen religiösen Gefühlen verletzt fühlt, wenn er am Lohnzettel das Weihnachtsgeld vorfindet. Aber beim Arbeitsrecht sind ohnedies alle Menschen sehr tolerant. Selbst Atheisten stört es nicht, wenn sie an katholischen Feiertagen nicht arbeiten 'dürfen'. Aufregung gibt es nur, wenn man einer Gruppe ihre Privilegien, wie z.B. den zusätzlich freien Karfreitag für Protestanten wegnimmt. Die zusätzlichen Feiertage der mosaischen Glaubensgemeinde blieben meines Wissens unangetastet, was wahrscheinlich auf unsere Sippenhaftung bzw. Erbschuld aus dem zweiten Weltkrieg zurückzuführen ist …
Das Ausländerthema beschäftigt insbesondere in Wahlkampfzeiten, wie derzeit in Wien, natürlich auch die Politik. Während manche (leider auch die katholische Kirche) noch immer an der Willkommenskultur festhalten, haben andere längst begriffen, dass die Aufnahme von ein paar Flüchtlingskindern aus einem abgebrannten Lager, das Problem – außer für die wenigen Einzelfälle – nicht lindert, sondern vielmehr verschlimmert, weil man damit der nächsten Massenzuwanderung Tür und Tor öffnet, aber die auswanderungswillige Bevölkerung in den Krisengebieten um ein Vielfaches höher ist als jene in Europa und daher die Kapazitäten der westlichen Wohlfahrtsstaaten bei weitem übersteigt. Mit diesen Zeilen habe ich mich selbst in ein 'rechtes Eck' gestellt und riskiere, dass ich dafür angefeindet werde. Seltsamerweise wird Intoleranz von 'toleranten' Gutmenschen gegenüber konservativen Ansichten aber zumeist kritiklos akzeptiert.
Sicherheitshalber zur Klarstellung: Mit Skinheads oder anderen Rechtsextremisten habe ich als Landsmannschafter nicht das Geringste zu tun. In einem Programmausschnitt einer österreichischen Poetry-Slammerin und Kabarettistin habe ich gehört, dass in diesen Kreisen angeblich keine Veganer und keine Nahrungsmittel-Intoleranten zu finden sind, was mir durchaus plausibel scheint, weil Letztere allem Anschein nach vorwiegend in grünen Bobo-Kreisen zu Hause sind. Jetzt könnte man darüber philosophieren, wie das mit der römischen Weisheit 'mens sana in corpore sano' zusammenpasst …
Aber zurück zur Nahrung. Manchmal scheint es mir wirklich, als würde es einen Zusammenhang zwischen Gluten-Unverträglichkeit und grenzenloser Toleranz für illegale Einwanderer geben. Womit ich mich aber gleich bei Kranken jeglicher Gesinnung, die an irgendeiner Form der Lebensmittel-Unverträglichkeit leiden, entschuldigen möchte: Ich brauche eben keine Lactose, ich bin manchmal (leider) selbst intolerant. So zum Beispiel auch gegenüber manchen Restaurants. Es ist heutzutage selbstverständlich, dass in jedem traditionellen Lokal neben Fleischgerichten auch vegetarische und meist auch vegane Speisen angeboten werden. Warum gibt es dann in vegetarischen Restaurants nicht zumindest eine Fleischspeise für nicht-vegetarisch lebende Begleitpersonen? Andererseits werden vegane Wiener Schnitzel oder Schweinsbraten aus Tofu angeboten. Ich frage mich wozu, denn wir schnitzen ja unser Gemüse auch nicht aus Leberkäse, wie eine bayrische Kabarettistin zutreffend sagt.
So intolerant wie beim fleischlosen Essen geht es auch beim Rauchen zu, das mittlerweile in den Gaststätten und anderen öffentlichen Orten Gott sei Dank verboten ist. Wenn ich als Nichtraucher kritisiere, dass die Raucher mit ihren Emissionen nicht nur die Luft verpesten, sondern auch meiner Gesundheit schaden können, muss ich mir oft anhören wie 'tolerant' die Raucher sind, weil es sie nicht stört, wenn ich in ihrer Gegenwart nicht rauche. Ähnlich unverschämt sind nur Öffi-Benutzer, die sich nicht an die Verpflichtung zum korrekten Tragen von MNS-Masken halten und Passagieren, die das stört empfehlen auszusteigen. Da ich fast jedes Mal wenn ich U-Bahn fahre solchen Typen – zumeist sind es Jugendliche von offensichtlich levantinischer Abstammung – begegne, bevorzuge ich es mit dem eigenen Auto zu fahren.
Aber auch beim Thema Verkehr hat die Toleranz ihre Grenzen. Viele Jugendliche lassen sich von ihren Eltern bis vor die Schultüre chauffieren, aber demonstrieren gegen die Umweltverschmutzung durch PKWs. Und auch die Politik nimmt keine Rücksicht darauf, dass die wachsende Bevölkerungsgruppe der älteren Menschen, die in ihrer Jugend nicht mit Skateboards oder dergleichen aufgewachsen sind, mit Privatfahrzeugen mobiler als mit Öffis sind und sicherer als mit einem Fahrrad ans Ziel kommen.
Apropos Verkehrssicherheit: Ich begrüße durchaus, dass Raser, die mit weit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs sind und dadurch nicht nur sich selbst, sondern auch andere gefährden, strenger bestraft werden sollen. Trotzdem hat diese Ankündigung der Verkehrsministerin bei mir gewisse Bedenken ausgelöst:
  • Soll die geplante Gesetzesänderung wirklich nur der Verkehrssicherheit dienen und wird sie nur wesentliche Tempoüberschreitungen betreffen oder wird es eine weitere Schikane für Autofahrer, weil ganz nebenbei auch die Strafen für geringfügige Geschwindigkeitsübertretungen erhöht werden, um die Masse besser abzocken zu können? Nach meiner persönlichen Beobachtung lauert die Polizei den motorisierten Verkehrsteilnehmern besonders gerne dort auf wo KEINE Gefahr besteht (z.B. an einem Samstag-Abend in einer 30-er Zone vor einer Schule).
  • Warum werden keine Maßnahmen gesetzt, um auch andere rücksichtslose und gefährliche Delikte zu verhindern? Nach meinem Empfinden ist das Verhalten der Verkehrsteilnehmer in den letzten Jahr(zehnt)en ständig aggressiver geworden und das Ignorieren von Ampeln, Bodenmarkierungen und Verkehrszeichen für viele schon Gewohnheit.
  • Und was ist mit Raser*innen? Wieso werden Bezeichnungen die in einem negativen Kontext stehen nie geschlechtsneutral formuliert, obwohl sonst bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit größter Wert darauf gelegt wird? Erst unlängst habe ich in den Nachrichten gehört 'Der Bankräuber war eine junge Frau.' Bezüglich dieser permanenten sprachlichen Diskriminierung von Männern bin ich selbst sehr sensibel und intolerant!
Das Gute an einer Studentenverbindung ist, dass unsere Prinzipien einen weltanschaulichen Rahmen vorgeben, der alle Mitglieder eint. Daher sollte die Toleranz gegenüber abweichenden Meinungen innerhalb unserer eigenen Reihen so groß sein, dass man sich nach jeder sachlichen Auseinandersetzung bei einem Convent oder dergleichen mit einem Bier an der Bar wieder versöhnen kann.
Text: DDr.cer. Raffael

P.S.: Wie bei allen namentlich gezeichneten Artikeln gibt dieser Beitrag die Meinung des Verfassers wieder, welche nicht zwingend mit den Ansichten der Verbindungen übereinstimmen muss.
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zuletzt geändert: 03.10.2020 um 23.46 Uhr