Nummer 08/2020
Land der Titel, alle gleich?


Gerade bei uns in Österreich erfreu(t)en sich Titel schon immer einer großen Beliebtheit. Daher ist es irgendwie seltsam, dass akademische Würden in letzter Zeit eher abgewertet und geringere Bildungsabschlüsse scheinbar aufgewertet wurden.
Schon zur Zeit der Monarchie soll es beliebt gewesen sein, Personen die sich militärische oder persönliche Verdienste erworben haben, mit einem Orden und/oder einem niedrigen Adelstitel zu 'entlohnen'. So wurde – um nur ein Beispiel zu nennen –der Fleischermeister Josef Ettenreich, der im Jahr 1853 dabei mithalf das Attentat eines ungarischen Schneidergesellen auf den jungen Kaiser Franz Joseph zu verhindern (siehe Bild) zum Ritter nobilitiert. Die Adelsprädikate wurden 1919 zwar abgeschafft (vgl. Blech-Bote 4/2020 über 'Die Entadelung'), aber die Liebe zu den anderen Titeln wurde dadurch nicht beeinträchtigt, sondern ist vielleicht sogar noch größer geworden.
Nicht nur beim Heer, wo die militärischen Dienstgrade zur Erhaltung der Disziplin und Klarstellung der Rangordnung bei der Befehlsausgabe im Ernstfall von großer Bedeutung sein können, sondern beim ganzen Beamtenapparat erfreuen sich die Amts- und Berufstitel ungebrochener Beliebtheit. So gibt es außer Kanzlei-, Hof- und Ministerialräten noch jede Menge anderer Bezeichnungen, die zwar nicht vererbt, aber mitunter zumindest informell am Standesamt weitergegeben werden können, wie man am Grabstein mancher Hofratswitwe nachlesen kann. Einer anderen Form der inoffiziellen „Titelverleihung“ begegnet man mitunter noch heute in den traditionellen Wiener Kaffeehäusern: In Erwartung eines fetten Trinkgeldes wird so mancher (Stamm)-Gast rasch zum Herrn Doktor oder etwas Ähnlichem befördert.
Im Unterrichtswesen haben Titel ebenfalls eine lange Tradition. So ist im Lehrerdienstrecht verankert, dass Unterrichtende an einer AHS – die ja in der Regel über einen akademischen Studienabschluss als Magister oder dergleichen verfügen – als Professor angesprochen werden. Damit unterscheiden sie sich im allgemeinen Sprachgebrauch weder von ordentlichen Universitätsprofessoren, die üblicherweise nach ihrer Dissertation auch noch ein Habilitations-Verfahren absolvieren mussten, noch von Künstlern und anderen Personen, die für ihre Verdienste ehrenhalber mit dem Berufstitel Professor ausgezeichnet werden.
Von verliehenen Amts- und Berufstiteln zu unterscheiden sind die durch eine Ausbildung erworbenen Titel und akademischen Grade. Einer der ältesten davon ist wohl jener des Meisters, den Handwerker schon im Mittelalter nach einer Lehr- und Gesellenzeit mit einer entsprechenden Prüfung erlangen konnten. Neu ist nur, dass dieser Titel, der VOR dem Namen geführt wird, seit August 2020 auch in amtlichen Urkunden eingetragen werden kann, wogegen grundsätzlich nichts einzuwenden ist. Das Wort Meister stammt vom lateinischen Wort Magister für Lehrer bzw. Gelehrter ab und ist mit dem englischen Wort master gleichbedeutend, wenn man davon absieht, dass im anglikanischen Sprachraum diese Bezeichnung auch als Anrede von Dienstboten für männliche Kinder ihrer Herrschaft üblich ist bzw. war.
Damit bin ich bei der Betrachtung der akademischen Grade angelangt. Durch den Bologna-Prozess wurde für Hochschulen vor einigen Jahren der Bachelor – auf deutsch: (Jung-)Geselle – als unterster akademischer Grad und Vorstufe zum Master (als Ersatz für den Magister) und den PhD (statt Doktor) neu eingeführt. Gemeinsam ist diesen drei relativ neuen akademischen Graden, dass sie – im Unterschied zu den alten Titeln – NACH dem Namen geführt und bei der Anrede nicht genannt werden. Dass ist im internationalen Vergleich – insbesondere im Verkehr von Akademikern untereinander – zwar durchaus üblich, im titelverliebten Österreich aber nicht. Als herkömmlicher Magister der alten Studienordnung kann mir das ja egal sein, aber es verwundert mich trotzdem, dass Meister, Ingenieur und ähnliche Titel, wie der mittlerweile überholte Magister (FH) dem Namen vorangestellt und ausgesprochen werden, während man echte akademische Grade bei der persönlichen Anrede de facto abgeschafft hat, obwohl doch andererseits eine Steigerung der Anzahl von Hochschulabsolventen angeblich erwünscht wäre. Sind nicht mehr alle Titelträger gleichwertig?
Nach den allgemeinen Gepflogenheiten bei der Namensnennung (wie man sie auch in Wikipedia nachlesen kann) ist es in Österreich durchaus üblich Personen nur mit ihrem (alten) akademischen Grad oder gegebenenfalls mit einem 'höheren' Berufstitel anzusprechen, ohne den Familiennamen anzufügen, weil dies angeblich sogar als Beleidigung aufgefasst werden könnte. Demzufolge werden unsere beiden Philistersenioren in ihrem beruflichen Umfeld vermutlich als 'Herr Hofrat' (und nicht als Herr Dipl.-Ing.) bzw. 'Herr Professor' (statt Herr Mag.) angesprochen, sofern bei letzterem im militärischen Umfeld nicht seinem Dienstrang als 'Herr Oberst' der Vorzug gegeben wird.
Auch im Verbindungsleben kennen wir verschiedene Titel. Der Magister kommt bei uns zwar nur in Verbindung mit Krambambuli vor, wo er als M.C. abgekürzt wird, bei manchen Damenverbindungen wie e.v. C.oe.a.St.V. Elisabethina hingegen ist die weibliche Form Magistra als Pendant zu unserem Fuchsmajor in Verwendung. Bei dieser Gelegenheit möchte ich nachträglich erwähnen, dass es zu den oben erwähnten akademischen Graden lateinischen Ursprungs seit 1993 auch die weiblichen Formen gibt, was mich persönlich nicht sehr stört, wohl aber manch alten Lateiner, da es die weiblichen Endungen in der Ursprungssprache gar nicht gab. Unsinnig finde ich aber, dass man einerseits die lateinischen und deutschen Abkürzungen mittels eines geschlechtsspezifischen Zusatzes gendert (auch die neue Meisterin wird als Mst.in geschrieben), während andererseits die neueren englischen Titel offenbar keine weiblichen Endungen nötig haben.
Die höchste couleurstudentische Auszeichnung ist der Doctor cerevisiae et vini der schriftlich – entsprechend der Ausführungen im Comment des MKV – üblicherweise mit Dr.cer. abgekürzt, aber als Doctor XY (ohne den Zusatz cer. bzw. cerevisiae) angesprochen wird. Bei vielen großen Verbindungen wird diese Ehrung nur sehr selten und sehr wenigen Bundesbrüdern zuteil, weshalb Carolina und Tegetthoff mitunter etwas belächelt werden, weil bei manchen Veranstaltungen beinahe mehr Doctoren, als andere Bundesbrüder anwesend sind. Bei näherer Betrachtung ist das aber weniger verwunderlich: Einerseits sind unter den älteren Kneipteilnehmern auch die Doctores cerevisiae anderer Verbindungen oft stark vertreten und andererseits haben die meisten unserer eigenen Geehrten in Anbetracht unserer eher geringen Mitglieder-Anzahl über viele Jahre und Jahrzehnte der Corporation die Treue gehalten und sind in verschiedenen Chargen und Funktionen für die Verbindung tätig gewesen bzw. noch immer aktiv, während sich manche andere Bundesbrüder schon lange auf ihren (gar nicht verliehenen) Lorbeeren ausruhen und höchstens selten auf die Bude kommen. Daher ist meines Erachtens unsere hohe Bier-Akademiker-Quote keine Schande, sondern ein Grund stolz auf unsere treuen Bundesbrüder zu sein.

Text: DDr.cer. Raffael

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zuletzt geändert: 03.10.2020 um 22.45 Uhr