Die Entadelung – ein parlamentarisches Satyrspiel?

Es handelt sich im Folgenden um einen gekürzten und geänderten Auszug einer bevorstehenden Buchpublikation: 'Transformation des öffentlichen Dienstes 1918–1920 in Österreich.'
War die Entadelung des österreichischen Adels ein parlamentarisches Satyrspiel?(1) Nach den besprochenen wirtschaftlich und sozial schwerwiegenden Problemen? Das gliche dem Muster des antiken griechischen Schauspiels: Das Satyrspiel folgt der Tragödie. Die Konstituierende Nationalversammlung wollte mit der Bekämpfung des Adels, so der Eindruck, im Frühjahr 1919 gründlichen Hausputz machen, ein republikanisches Großreinemachen. Das Haus Habsburg wurde enteignet und des Landes verwiesen. Und in der Nationalversammlung fand eine intensive Diskussion über den Adel statt.(2) Kurz zur Erinnerung: Es gab niemals die homogene gesellschaftliche Gruppe 'österreichischer Adel', sondern differente Teilgesellschaften. ... Zwischen dem grundbesitzenden Grafen aus altem Geschlecht, dem reichen nobilitierten (jüdischen) Börsianer und dem k.k. Beamten, der durch seine Nobilitation keine Einkommenssteigerung erfahren hatte, lagen wahre Welten. ...
Die Stenographischen Protokolle zum Thema Abschaffung des Adels umfassen 13 Druckseiten mit leidenschaftlichen Reden, klassenkämpferischen Emotionen und der Zitierung vermeintlicher historischer Fakten. Es war Dichtung und Wahrheit, bunt gemischt. So werden adelige Militärs pauschal als Schlächter dargestellt, die zahlreiche Menschen opferten, um Maria-Theresien-Ritter zu werden und anderes mehr(3). Bemerkenswert ist, dass vom großdeutschen Abgeordneten Josef Thanner gefordert wurde, die Juden müssten ebenso wie der Adel bekämpft werden(4). Auch die Sozialdemokratin Adelheid Popp sagte, die Sozialdemokratie wäre gerne bereit, alle baronisierten, alle kapitalisierten Juden zu jeder Handlung den Antisemiten zu überlassen […] so scharf und so revolutionär diese Handlung auch immer sein mag(5). Adelheid Popp vertrat daher zumindest verbal gewaltbereiten Antisemitismus. ...
Das enfant terrible Adalbert Graf Sternberg ließ sich Visitenkarten mit dem Text drucken: 'Adalbert aus dem urgräflichen Hause Sternberg. Geadelt unter Karl dem Großen – entadelt unter Karl Renner'(6). Einem Aristokraten mit klingendem, weithin bekanntem Namen konnte die formale republikanische Entadelung gleichgültig sein. Michael Hainisch, republikanischer Bundespräsident von 1920 bis 1928, nannte die offizielle Abschaffung des Adels ein kindisches Beginnen, schon deshalb, weil man gar nicht diejenigen traf, die man treffen wollte. Die feine und kluge Fürstin Fanny Starhemberg meinte, so Hainisch, ihr wäre die Aufhebung des Adels egal – Starhemberg bleibt Starhemberg(7).
Wesentlich stärker als die hohe Aristokratie wurden die Angehörigen des neuen Dienstadels emotional getroffen, die 'Edlen' und 'Ritter' von Festenwald, Trautenwall, Karstwehr oder Treuenwart oder wie immer sie geheißen haben mögen(8). Egal, ob Militär- oder Beamtenadel: Sie hatten im Weltkrieg eventuell Familienmitglieder verloren, vielleicht ihr Zuhause in den Kronländern, auf jeden Fall aber Kaiser und Reich. Sie mussten die Entwertung der von ihnen gezeichneten Kriegsanleihen und allfälliger Sparguthaben sowie empfindliche Reallohneinbußen und die Verschlechterungen ihrer Berufslaufbahnen bis hin zu Zwangspensionierungen mit entwerteten Bezügen hinnehmen. Nun sollten sie auch noch auf den von ihnen oder von ihren Vorfahren erworbenen Adel verzichten. Nach dem Abreißen der Distinktionssterne von den Krägen der Offiziersuniformen im Herbst 1918 folgte im Frühjahr 1919 die virtuelle Kastration des adeligen Namens. Diese republikanische Vorgangsweise war ärger als ein Verbrechen, nämlich eine Dummheit, meint Adam Wandruszka(9). Und in der Tat – es ist die mutwillige Brüskierung von Menschen gewesen, deren 'bürgerlichen' Arbeits- und Leistungswillen die junge Republik dringend gebraucht hätte. Auch Max Wladimir Freiherr von Beck, ehemals k.k. Ministerpräsident und später Präsident des Rechnungshofes, meinte zum Beispiel, die Liebe vieler Beamter zum neuen Staat wäre ohnehin nicht ausgeprägt gewesen(10).

Text: Charon

(1) StGBl. Nr. 211/1919 (Aufhebung des Adels).
(2) Vgl. Sten. Prot. KNV, 3. 4. 1919, 179 – 192.
(3) 8. Sitzung der KNV (3. 4. 1919) 180, 186 f. und öfter.
(4) Ebd. 188.
(5) Ebd. 189.
(6) Enfant terrible des alten Österreich. Wiener Zeitung (21.10. 2018).
(7) Michael HAINISCH, 75 Jahre aus bewegter Zeit (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs 64, Wien 1978) 227.
(8) Zum Blättern: Carl Friedrich von FRANK ZU DÖFERING, Alt-österreichisches Ades-Lexikon (Wien 1928) passim.
(9) Adam WANDRUSZKA, Die Zweite Gesellschaft der Donaumonarchie, in: Adel in Österreich, hg. von Heinz SIEGERT (Wien 1971) 56–67, hier 65.
(10) Günther BURKERT, „Eine Welt ist untergegangen.“ Markante Jahre der österreichischen Geschichte in Briefen … österreichischer Beamter des 20. Jahrhunderts. Geschichte und Gegenwart 3 (1990) 197–224, hier 202f.
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zuletzt geändert: 12.05.2020 um 15.09 Uhr