Requiem für Fürst Karl Schwarzenberg am 16.12.2023 im Dom
'Schwestern und Brüder, wir wollen euch über die Entschlafenen nicht in Unkenntnis lassen, damit ihr nicht trauert wie die anderen, die keine Hoffnung haben.'
Diese Worte des Apostels Paulus wurden in den Gottesdiensten der katholischen Kirche am 12. November gelesen, am Sterbetag von Karel Schwarzenberg. Die Familie hat sich gewünscht, dass sie heute beim Requiem gelesen werden. Sie drücken schlicht und einfach aus, was Kary geglaubt hat. Paulus weiter: 'Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, so wird Gott die Entschlafenen durch Jesus in die Gemeinschaft mit ihm führen.' Er hat das geglaubt, und dieser Glaube gehörte mit einer gewissen Selbstverständlichkeit zu seinem Leben wie auch zu seinem Sterben. Kurz bevor er ins Koma fiel, hat Abt Gregor Henkel-Donnersmark ihm die Sterbesakramente gespendet, die er bewusst und klar empfangen hat.

Für sein Begräbnis hat er bestimmt: 'Ich möchte, dass beim Requiem das dies irae dies illa erklinge, das heute schon selten gesungen wird, zum Beispiel gregorianisch, also in einfacher Form'. Nun, wir haben es in der gewaltigen Form der mozartschen Vertonung gehört. Er hat ausdrücklich für das Requiem in Prag verfügt: 'Der Text auf Lateinisch und Tschechisch möge an alle Teilnehmer verteil werden, weil es ein verblüffendes Gedicht ist.' Drückt er etwas von seiner Frömmigkeit aus? Ich glaube schon. In den berührenden Worten der Predigt bei der Beisetzung in Orlik sagte Pater Heryan, ein Gefängnisseelsorger: 'In diesem Moment ist es wichtig zu wissen, dass wir uns vor allen von einem tief gläubigen Christen und Katholiken verabschieden, der, abgesehen von allen weiteren Umständen seines Lebens Gott grenzenlos geliebt hatte, auch wenn er mit Demut über sich sagte, er sei ein Sünder. Beides konnte er unter einen Hut bringen', so P. Heryan über ihn.

'Judex ergo cum sedebit, quidquid latet, apparebit” – Wenn der Richter sich zum Richten setzt, wird alles Verborgene offenbar. 'Quid sum miser tunc dicturus, quem patronum rogaturus?' Was werde ich Elender dann sagen? Welchen Anwalt werde ich mir erbitten?

Ist das mittelalterliche Frömmigkeit? Barocke Pieta? Kary wollte es zu seinem Requiem. 'Rex tremendae maiestatis, qui salvandos salvas gratis, salva me, fons pietatis.' Mozart hat diese Worte kurz vor seinem Tod mit existentieller Gewalt vertont: 'König erschreckender Majestät, der du die zu Rettenden gratis rettest, rette mich, du Quell der Gnade.' Es endet im großen Vertrauen mit der Anrufung des pie Jesu, des milden Herrn Jesus.

Im Orden der Dominikaner, in den ich vor 60 Jahren eingetreten bin, haben wir dieses 'verblüffende Gedicht' jede Woche gesungen. Ich konnte es schon bald auswendig. Eine der vielen Traditionen, die in der Kirche wie in der Gesellschaft verloren gegangen ist.

Karl Schwarzenberg war zweifellos ein Mann der Tradition, er lebte in ihr und aus ihr, er verkörperte sie in einer unnachahmlichen Weise. Aber was heißt Tradition? Ich glaube, das kann man exemplarisch an ihm quasi nachlesen, abschauen. Denn Tradition, wie er sie gelebt hat, hat nichts mit Traditionalismus zu tun. Ich habe wenige Menschen gekannt, die so frei waren, und dazu trug wesentlich seine Verwurzelung in der Tradition bei.

Am 12. November, seinem Sterbetag, war das Evangelium das Gleichnis Jesu von den fünf törichten und fünf klugen Jungfrauen. Es geht um Hochzeit. Der Hochzeitssaal ist bereit, alle Gäste sind da, die Braut wartet mit allen auf das Kommen des Bräutigams, der sich verspätet. Die Brautjungfern warten, um mit ihren Lampen ihm entgegenzugehen und ihn feierlich in den Festsaal zu geleiten. Nicht alle haben sich auf die lange Nacht des Wartens vorbereitet. Das Öl für die Lampen geht bei einigen zur Neige. Sie versäumen den entscheidenden Moment. Jesu Wort an uns alle: 'Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde!' In Karys Leben kam der Tag und die Stunde. Und er war wie wenige Menschen bei uns so bereit. Niemand von uns wusste den Tag und die Stunde, den 17. November 1989. Aber als er kam, war Kary bereit wie kaum jemand.

Es begann mit dem 12. November. Ich war an diesem Tag in Rom. Angesagt war die Heiligsprechung der Agnes von Böhmen, der Tochter König Ottokars. Die kommunistische Regierung der CSSR hatte, den Druck spürend, erlaubt, dass 10 000 Pilger zu dieser Heiligsprechung ausreisen durften. Im Petersdom, mir unvergesslich, die eindrucksvolle Gestalt des 90-jährigen Kardinal Tomašek. Nur fünf Tage später, am 17. November brach in Prag die 'samtene Revolution' aus. Es dauerte nicht lange danach, dass Vaclav Havel auf dem Balkon zum Wenzelsplatz der riesigen Menschenmenge 'unseren Knize Schwarzenberg' vorstellte. Es war die große Wende im Leben unseres Verstorbenen. Wie sein Weg von da an weiterging, muss hier nicht in Erinnerung gerufen werden. Die spannende Frage ist vielmehr: Wieso war er in diesem Moment, an diesem Tag und in dieser Stunde, bereit? Es war nicht planbar, weder für ihn, noch für Vaclav Havel und seine Freunde. Aber etwas hat sie bereit gemacht für diesen Moment. Jesus sagt: 'Seid wachsam!'

Spannend ist immer in den großen (wie auch in den vielen unscheinbaren) Biografien die Zurüstung, die Vorbereitung für die 'Sternstunde'. Wachsamkeit ist wohl das Entscheidende. 'Custos, quid de nocte?', heißt es beim Propheten Jesaia (21,11): 'Wächter, wie weit ist die Nacht?' Kary hat wach beobachtet, gelesen, gesammelt, was sich im tschechischen Untergrund tat, hat Dissidenten unterstützt, gefördert, bekannt gemacht. 'Der Morgen ist gekommen, und doch ist es Nacht', heißt es weiter beim Propheten Jesaia. Er hat die Zeichen eines Morgens der Freiheit wahrgenommen, auch wenn es weiter Nacht war.

Um im Bild des Gleichnisses zu bleiben: er hat das Öl der Geduld, des langen Wartens bereit gehabt. Er ist wach geblieben, aufgeweckt, er hat die Hoffnung nicht verloren.

Tradition und Wachheit schließen sich nicht aus. Tradition ist etwas Lebendiges. Seine Beharrlichkeit im Unterstützen der hoffnungsvollen Kräfte in seiner Heimat hat auch mit Tradition zu tun. Hier muss ich ein Wort anfügen, das auch meine Familiengeschichte betrifft, wie die vieler Familien nach dem 1. Weltkrieg, als man in der neuen Tschechoslowakei sich für Deutsch oder Tschechisch als Hauptsprache entscheiden musste. Mein Großvater, wie viele Adelige damals, hat für Deutsch optiert, die Familie Schwarzenberg für Tschechisch. War das ein Bruch mit der Tradition der großen, habsburgisch geprägten Adelsfamilien? War es ein waches, bewusstes Sich-Einlassen auf die neue Situation der tschechoslowakischen Republik? Tomáš Halik hat in seiner Predigt im Veitsdom in Prag daran erinnert, dass Karl Schwarzenbergs Vater der Hauptautor des Dokuments war, mit dem der tschechische Adel mutig seine Loyalität gegenüber der tschechischen Nation und der tschechoslowakischen Staatlichkeit angesichts der nationalsozialistischen Bedrohung erklärt hat. Das bedeutete Widerstand gegen die Nazis unter größter Gefährdung der eigenen Sicherheit.

Tradition im tiefen Sinn des Wortes lebt von Vorbildern, vom tradere, vom tradieren von Haltungen. Tomáš Halik hat das sehr schön ausgedrückt: Karel Schwarzenberg war ein 'Erzieher der heutigen tschechischen Gesellschaft', ein 'Erzieher zur Großzügigkeit'. Mit einem Wortspiel sagt er: 'Dieser tschechische Adlige war der Veredler unseres öffentlichen Lebens.' Seine Beliebtheit bei den Menschen seiner Heimat war keinem Populismus zu verdanken, sondern seiner echten, humorvollen, glaubwürdigen Nähe zu den Menschen. Und so war sein ehrlicher Patriotismus etwas völlig anderes als Chauvinismus. Man kann überzeugter Patriot und ebenso überzeugter Europäer sein.

Ich glaube, es ist an der Zeit, jetzt da er in die Ewigkeit gegangen ist, von ihm zu lernen. Er hatte wie alle Menschen seine Ecken und Kanten, wusste sich als Sünder und zugleich als überzeugter Christ; er war ein Mensch mit Widersprüchen, und durfte doch erleben, wie so manche sich gelöst und versöhnt haben. Es ist an der Zeit, das Vermächtnis dieses großen Menschen auch für Österreich, dem er sich immer verbunden wusste, ohne je Österreichischer Staatsbürger zu sein, fruchtbar zu machen, gerade in den Spannungen unseres Landes. Gott lohne ihm, was er Gutes getan hat und sei ihm und uns allen, die wir Sünder sind, der barmherzige Richter und Retter.

Amen.


zuletzt geändert: 15.01.2024 um 21.19 Uhr